OLG Frankfurt vom 03.04.2024 (7 UF 46/23)

Stichworte: Kindeswille; Kindeswohl; Kindeswohlgefährdung; Fremdunterbringung; Bindungsintoleranz; Loyalitätskonflikt; Missbrauch; Fremdsuggestion; Aussagezuverlässigkeit; Aussagepsychologie; Verhältnismäßigkeit
Normenkette: BGB 1666, 1666a
Orientierungssatz:
  • Eine die Trennung eines Kindes von seiner Familie rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls liegt erst dann vor, wenn eine gegenwärtige Gefahr in einem solchen Maße vorhanden ist, dass sich bei weiterer Entwicklung ohne Intervention eine erhebliche Schädigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt.
  • Die Beeinflussung des Kindes durch einen Elternteil und die dadurch bei dem Kind hervorgerufene Verweigerungshaltung gegenüber dem anderen Elternteil reicht für sich genommen regelmäßig nicht aus, um eine Unterbringung des Kindes bei Dritten zu veranlassen.
  • Der Wille des Kindes ist zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist. Die Nichtberücksichtigung kann dann gerechtfertigt sein, wenn die Äußerungen des Kindes dessen wirkliche Bindungsverhältnisse - etwa aufgrund Manipulation eines Elternteils - nicht zutreffend bezeichnen, oder wenn dessen Befolgung mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist und zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde (Anschluss an BVerfG FamRZ 2024, 278, Rn. 24; BVerfG FamRZ 2021, 1201, Rn. 37).
  • 63 F 522/22 SO
    AG Bad Hersfeld

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensachebetreffend die elterliche Sorge für ... hat der 7. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Lies-Benachib, den Richter am Oberlandesgericht Usdowski und den Richter am Oberlandesgericht Oliva beschlossen:

    Auf die Beschwerden der Kindeseltern wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bad Hersfeld vom 12.4.2023 aufgehoben.

    Gerichtskosten werden in beiden Instanzen nicht erhoben. Ihre außergerichtlichen Kosten haben die Beteiligten jeweils selbst zu tragen.

    Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 Euro festgesetzt.

    Gründe:

    I.

    In dem vorliegenden Beschwerdeverfahren sind Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB für das am … 2014 geborene Kind A. zu überprüfen.

    A. ist aus der nichtehelichen Beziehung ihrer Eltern hervorgegangen, die im Mai 2020 endgültig endete. Aufgrund einer gemeinsamen Sorgeerklärung waren die Eltern bislang gemeinsam sorgeberechtigt. A. lebte bisher durchgehend bei ihrer Mutter.

    Die Kindesmutter ist von Beruf … Als solche arbeitete sie zeitweise in der JVA …. Aus ihrer 2012 geschiedenen Ehe waren zwei Kinder hervorgegangen, nämlich der am … 2001 geborene Sohn … und die am … 2003 geborene Tochter … Der Kindesvater ist … und arbeitet als Projektleiter. Die Eltern beschreiben ihre frühere Beziehung als „On-Off-Beziehung“, in der sie längere Zeit eine Wochenendbeziehung mit getrennten Wohnungen geführt haben. Es kam immer wieder zu zwischenzeitlichen Trennungen und Versöhnungen, bis sich im Mai 2020 die endgültige Trennung ereignete.

    Die gescheiterte Paarbeziehung der Eltern ist hochkonflikthaft. Seit der endgültigen Trennung haben die Eltern bereits eine Vielzahl von familiengerichtlichen Verfahren betreffend das Sorgerecht und den Umgang geführt. Dabei überziehen sich die Eltern bis heute mit erheblichen Vorwürfen. Der Vater beanstandete unter anderem, dass A. nicht gut von ihrer Mutter versorgt werde. Die Kindesmutter bezeichnete den Kindesvater als Psychopathen, dem es alleine darauf ankomme, sie zu demütigen. Er programmiere A. und wolle Kontrolle ausüben.

    Im Verfahren 60 F 479/20 UG des Amtsgerichts Bad Hersfeld trafen die Beteiligten am 15.9.2020 eine familiengerichtlich gebilligte Umgangsvereinbarung, in der sie festlegten, dass der Kindesvater A. unter anderem an jedem zweiten Wochenende zu sich nehmen sollte. Dieser Umgang wurde in der Folgezeit praktiziert.

    In den Herbstferien 2021 unternahm der Kindesvater mit A. und seiner Lebensgefährtin eine Reise in das Allgäu. Wegen einer defekten Sicherheitsvorrichtung fiel A. dort am 17.10.2021 vom Trampolin und brach sich den linken Oberarm. Der Kindesvater suchte mit A. ein Krankenhaus auf, wo die Verletzung diagnostiziert und behandelt wurde.

    Am 15.11.2021 beantragte der Kindesvater beim Amtsgericht Bad Hersfeld unter dem Aktenzeichen 63 F 740/21 UG die Abänderung der Umgangsvereinbarung vom 15.9.2020. Er strebte eine Ausweitung des Umgangs an. Die Kindesmutter trat dem Abänderungsantrag entgegen und berief sich unter anderem auf den Unfall vom 17.10.2021, bei dem der Kindesvater seine Aufsichtspflicht verletzt und sich auch im Übrigen „unmöglich“ verhalten habe, indem er die wegen des Sturzes angezeigt gewesene Schädeluntersuchung des Kindes nicht veranlasst habe. Dieser Vorfall habe Spuren bei A. hinterlassen. Der Kindesvater sei nicht im Geringsten empathisch für die Belange des Kindes, er sehe nur sich selbst. Dass A. mit einem solchen Vater nicht klarkommen könne, sei offensichtlich.

    A. besuchte ihren Vater letztmals am 28.11.2021. Danach weigerte sich A., zu ihrem Vater zu gehen. Infolgedessen beantragte die Kindesmutter die Aussetzung des Vater-Kind-Umgangs.

    Am 22.12.2021 erstattete die Kindesmutter bei der Kriminalpolizei in … telefonisch eine Strafanzeige gegen den Kindesvater wegen sexuellen Missbrauchs von A.. Die Mutter und das Kind erschienen dort am 23.12.2021 und wurden polizeilich vernommen. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wird bei der Staatsanwaltschaft … geführt und ist bis heute nicht abgeschlossen. Die polizeiliche Vernehmung von A. vom 23.12.2021 wurde unter Zuhilfenahme von Videotechnik durchgeführt und ist u.a. wie folgt verschriftlicht worden:

    „Nach (…) Belehrung gab A. an, durch ihren Vater nach dem Duschen im Scheidenbereich eingecremt worden zu sein. (…) Das Eincremen durch den Vater sei ihr unangenehm gewesen, sie hätte jedoch zunächst aufgrund dessen, dass die Handlung durch ihren Vater durchgeführt wurde, keine weiteren Bedenken gehabt. Nachdem der Vater die Geschädigte eincremte, hätte sie später, als sie bereits im Bett lag, Schmerzen im Intimbereich verspürt. (…) Während des Eincremens wären A. und ihr Vater alleine im Bad gewesen. Der Vater sei vollständig bekleidet gewesen und es sollen zu keiner Zeit Fotos oder Videos durch den Vater von dem nackten Kind angefertigt worden sein.“

    Am 29.12.2021 hörte der zuständige Familienrichter die Eltern und das Kind persönlich an. Hierbei berichtete die Kindesmutter von ihrer zuvor erstatteten Strafanzeige. Am selben Tag wurde A. sehr ausführlich richterlich angehört. Im Laufe der sehr langen Anhörung fragte der Familienrichter A., warum sie nicht mehr zu ihrem Vater hinwolle. Sie sagte: „Weil ich das nicht mag.“ Dabei erzählte A. von ihrem Unfall und beanstandete, dass sie anschließend nicht „Kopf-abgeklärt“ worden sei. Gegen Ende des Gespräches sagte A. wörtlich: „Ich habe auch darauf gewartet, dass ich wieder mal zu Gericht kann. Weil da so viele Sachen sind. Und er hat mich jetzt schon mal wo angefasst, nach dem Duschen, was doch eigentlich ich machen sollte.“ Auf Nachfrage erklärte sie, dass es ums Abtrocknen und Eincremen nach dem Duschen gehe und da gehe es ja um den Bereich an ihrem Körper, der ihr gehöre. „Das sollte eigentlich ich machen.“ Als der Richter nach dem „Bereich unter der Gürtellinie“ fragte, nickte A. und sagte wörtlich: „Mit seinen kleinen Fingern hat er da nichts rumzuwühlen.“ Sie habe ihren Vater zwar lieb, wolle ihn aber nur noch unter Aufsicht treffen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anhörungsprotokolle des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 29.12.2021 (63 F 740/21 UG) verwiesen.

    Der Vater reagierte, indem er im gesonderten Verfahren 63 F 1/22 SO die Übertragung der elterlichen Sorge auf sich beantragte. Hiermit wollte er einen gemeinsamen stationären Aufenthalt mit A. erreichen. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 24.3.2022 zurückgewiesen.

    Mit Beschluss vom 30.12.2021 beauftragte das Amtsgericht Herrn Dipl. Psych. B. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zur Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Kindes und zur Einschätzung der Authentizität und der Nachhaltigkeit des Kindeswillens. Herr B. führte kurz darauf Gespräche mit den Eltern und dem Kind. Hierbei sprach er A. am 9.1.2022 auf „die Sache in der Dusche“ und „die Sache mit ihrem Schneckchen“ an. Hierzu dokumentierte Herr B. folgende angeblichen Äußerungen von A.: „Ich bin nackt in die Dusche reingegangen, habe das Wasser angedreht. (…) Der Papa war vor der Dusche, die Tür war angelehnt. Ich habe mich mit Shampoo aus der Flasche geduscht. Ich habe die Flasche in die Hand genommen und mich eingeschäumt. Überall, auch das Schneckchen.“ Weiter heißt es: „Das Mädchen berichtet dann, dass es sich mit dem Rücken auf den Teppich legen müsse. Es müsse auch dann die Beine auseinandermachen. Der Vater klemmt das Schneckchen dann ein, ganz kurz. Die Beine bleiben erst mal nass. Dann zieht er die Unterhose an. Dann stehe ich auf, dann trocknet er kurz den Oberkörper ab. Er zieht mir dann ein Unterhemd an. Ich verstehe nicht warum er das macht, das ist mein privater Bereich. Ich traue mich aber nicht zu sagen, dass er mich nicht eincremen soll, dass ich das nicht will.“ Der Vater mache hierbei nichts Auffälliges, er mache keine Geräusche und gucke auch nicht komisch. Einmal habe er ein Handy in der Hand gehabt, was er damit gemacht habe, wisse sie nicht.

    In seinem 5 ½ Seiten umfassenden „psychologischen Gutachten“ vom 19.2.2022, welches als Anlage eine 7 Seiten umfassende Wiedergabe der Gespräche mit A. und den Eltern enthält, führte Herr B. aus, dass die Angaben von A. und ihrer Mutter als glaubhaft einzuschätzen seien. Allerdings sei die sexuelle Komponente beim vom Mädchen geschilderten Verhalten nicht zu erkennen. Dennoch sei das Geschehen umgangssprachlich als Übergriff zu bezeichnen. Der Kindeswille werde deutlich und authentisch vorgetragen.

    Das Umgangsverfahren 63 F 740/21 UG wurde am 23.3.2022 mit einer familiengerichtlich gebilligten Umgangsvereinbarung abgeschlossen, wonach der Kindesvater begleiteten Umgang mit A. haben sollte. Der Vater-Kind-Umgang wurde daraufhin am 6., 13. und 20.4.2022 in begleiteter Form durchgeführt. A. lehnte ihren Vater jedoch weiterhin ab, so dass der Kindesvater auf weitere Umgangskontakte verzichtete.

    Am 4.10.2022 wurde A. im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft … durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Bad Hersfeld vernommen. Hierbei bestätigte A., von ihrem Vater nach dem Duschen mit Salbe am „Schneckchen“ eingerieben worden zu sein. Einmal habe der Vater ein Handy dabeigehabt. Sie habe auch „komischen Saft“ zum Trinken bekommen. Sie habe Angst vor ihrem Vater, insbesondere als er sie einmal in der Badewanne unter Wasser gedrückt habe. Wenn sie von ihrem Vater geküsst werde, sauge und spucke er ein bisschen. Manchmal habe er es auch „ganz eklig“ gemacht und ihr die Zunge in den Mund gesteckt. Sie habe das dann bei ihm auch gemacht, was aber eigentlich nicht so schön gewesen sei. Das sei mehrmals passiert. Auch vom Trampolinunfall erzählte A.. Wegen der Einzelheiten wird auf das Vernehmungsprotokoll vom 4.10.2022 des beigezogenen Ermittlungsverfahrens verwiesen.

    Mit einer einstweiligen Anordnung vom 5.12.2022 (62 F 524/22 EAUG) setzte das Amtsgericht Bad Hersfeld den Vater-Tochter-Umgang vorläufig aus.

    Bereits am 15.9.2022 hatte der Kindesvater beim Amtsgericht das vorliegende neue sorgerechtliche Verfahren eingeleitet. Seiner Meinung nach sei A. dringend aus dem mütterlichen Haushalt herauszunehmen. Die gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe seien unzutreffend. Er habe A. nicht sexuell missbraucht. Richtig sei allerdings – wie der Kindesvater im Rahmen der nachfolgenden Begutachtung erklärt hat –, dass er A. einmal im Genitalbereich eingecremt habe, als sie dort ganz rot und wund gewesen sei. Die Kindesmutter könne die Erziehung und Betreuung von A. nicht verantwortlich vornehmen. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung sei die Kindesmutter nicht in der Lage, ihre eigenen Probleme mit dem Kindesvater vor A. zu verbergen und es zu unterlassen, nachteilig über den Kindesvater vor dem Kind zu reden. Die Kindesmutter missbrauche ihre Verantwortung als Erziehungsberechtigte dazu, das Kind im Rahmen von Strafverfahren zu Unwahrheiten zu verleiten. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt solle A. stationär behandelt werden.

    Der Kindesvater hat beantragt,

    der Antragsgegnerin das Sorgerecht für die am … 2014 geborene A. zu entziehen und das „anteilige Recht der elterlichen Sorge“ auf das Jugendamt zu übertragen.

    Die Kindesmutter hat beantragt,

    den Antrag zurückzuweisen.

    Die Kindesmutter hat sich auf das gegen den Kindesvater geführte polizeiliche Ermittlungsverfahren berufen. Aus den ihrer Meinung nach glaubhaften Schilderungen des Kindes ergebe sich, dass A. von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei. Dabei sei von Bedeutung, dass das traumatisierte Kind von sich aus von den Geschehnissen berichtet habe. A. habe ihre Worte und Sätze selbst formuliert, ohne dass die Kindesmutter eingegriffen oder Inhalte vorgegeben habe. Die Kindesmutter habe ihre Tochter in keiner Weise zu Unwahrheiten verleitet und zu keinem Zeitpunkt angeleitet, irgendetwas Falsches zu sagen.

    Durch Beweisbeschluss vom 5.12.2022 hat das Amtsgericht die Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens angeordnet. Der Sachverständige sollte Feststellungen dazu treffen, ob die Vorwürfe des Kindes gegen den Vater der Realität entsprechen oder auf äußere Beeinflussung zurückgehen. Dabei sollte sich der Sachverständige dazu äußern, ob es hinreichende Anhaltspunkte dafür gebe, dass das Kind von seiner Mutter in seinen Vorwürfen und seiner Abwehrhaltung manipuliert worden sei, und ob es das Kindeswohl erfordere, es der Obhut der Kindesmutter zu entziehen oder sonst in ihr Sorgerecht einzugreifen. Zusätzlich sollte der Sachverständige die Frage beantworten, ob die Abwehrhaltung des Kindes gegen den Vater authentisch sei und wie das Kind im Umgang bestärkt werden könne. Mit der Erstattung des Gutachtens wurde Herr Dr. P. beauftragt.

    In seinem familienpsychologischen Gutachten vom 16.3.2023 empfahl der Sachverständige Dr. P., der Kindesmutter das Sorgerecht zu entziehen. A. solle baldmöglichst aus der Obhut der Kindesmutter herausgenommen werden. Ziel solle ein Aufwachsen des Kindes beim Vater sein. Da die Bindung zum Vater erst einmal wiederhergestellt werden müsse, sei als einzige Lösung ein zeitlich begrenzter Wechsel in eine Wohngruppe angezeigt. Dabei hat der Sachverständige die Hypothese zugrundegelegt, dass kein sexueller Missbrauch stattgefunden habe. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass A. von ihrer Mutter beeinflusst, manipuliert und instrumentalisiert worden sei. Die Abwehrhaltung des Kindes gegen ihren Vater sei demgemäß nicht als authentisch einzuschätzen. Tatsächlich liebe sie ihren Vater und wolle ihn auch wiedersehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 16.3.2023 (Sonderheft Gutachten) verwiesen.

    Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren war zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossen. Am 6.1.2023 hatte die Staatsanwaltschaft die Sachverständige Dr. K. mit der Erstattung eines aussagepsychologischen Gutachtens beauftragt, welches noch nicht vorlag. Der Sachverständige Dr. P. hatte versucht, mit der Sachverständigen Dr. K. Rücksprache zu nehmen, jedoch ohne Erfolg.

    Das Gutachten des Sachverständigen Dr. P. ging am 20.3.2023 beim Amtsgericht ein. Noch vor der Übersendung des Gutachtens an die Verfahrensbeteiligten eröffnete das Amtsgericht Bad Hersfeld unter dem Aktenzeichen 63 F 172/23 EASO ein gesondertes einstweiliges Anordnungsverfahren und erließ dort am 23.3.2023 ohne eine Anhörung der Beteiligten eine einstweilige Anordnung, mit der den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A. vorläufig entzogen und dem Jugendamt als Pfleger übertragen wurde. Ferner ordnete das Amtsgericht an, dass A. per Gerichtsvollzieher an das Jugendamt herauszugeben sei. Der Beschluss wurde am 24.3.2023 vollzogen, indem A. an diesem Tag aus der Schule abgeholt und gegen ihren Willen in eine Inobhutnahmestelle des Jugendamtes gebracht wurde. Mit Beschluss vom 29.3.2023 erweiterte das Amtsgericht seine einstweilige Anordnung dahingehend, dass es den Eltern auch die Gesundheitssorge und die Vertretung in sozialrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten entzog. Mit einstweiliger Anordnung vom 13.4.2023 (63 F 203/23 EAUG) setzte das Amtsgericht Bad Hersfeld den Mutter-Kind-Umgang bis zum 15.6.2023 aus.

    In dem vorliegenden sorgerechtlichen Hauptsacheverfahren hörte das Amtsgericht A. am 30.3.2023 an. A. war mit einer Begleiterin von der Inobhutnahmestelle erschienen, die berichtete, dass A. sehr leide und ein Trauma durchlebe. Sie weine jeden Tag. A. erklärte bei ihrer Anhörung, dass sie ihre Mama vermisse und nicht verstehe, warum sie nicht mit ihr telefonieren könne. Es sei schon ein Schrecken gewesen, als sie abgeholt worden sei. Sie frage sich, warum so entschieden worden sei. Die Mama habe doch gar nichts gemacht und dann habe sie plötzlich von ihr weggemusst.

    Die Eltern wurden am 5.4.2023 persönlich angehört. Hierbei erklärte der Kindesvater, dass er mit der Fremdunterbringung von A. einverstanden sei und mit dem Jugendamt kooperieren würde. Der Sachverständige Dr…. war ebenfalls erschienen und ergänzte sein Gutachten vom 20.3.2023 mündlich. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Amtsgerichts vom 5.4.2023 Bezug genommen.

    Der Verfahrensbeistand hat erstinstanzlich empfohlen, die im einstweiligen Anordnungsverfahren 63 F 172/23 EASO ergangene Entscheidung auch im Hauptsacheverfahren zu treffen.

    Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12.4.2023 hat das Amtsgericht den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und die Vertretung in sozialrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten für A. in der Hauptsache entzogen und dem Jugendamt als Pfleger übertragen. Diese Entscheidung sei gemäß §§ 1666 Abs. 1, 3 Nr. 6, 1666a Abs. 1 S. 1 BGB zum Wohl von A. erforderlich. Durch bewusste oder unbewusste Manipulation der Kindesmutter befinde sich A. in einem derart massiven Loyalitätskonflikt, dass sie als mit einer regen Fantasie ausgestattetes Mädchen fortwährend massive Vorwürfe gegen ihren Vater erhebe, um sich damit ihrer Mutter zu versichern. Die Mutter sehe sich in einem Kampfmodus gegenüber dem Kindesvater. Bei einem Verbleib A.s bei der Kindesmutter könne es nie zu einer Normalisierung des Verhältnisses von A. zu ihrem Vater kommen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. P. seien keine sicheren und wissenschaftlich nachweisbaren Hinweise für einen Missbrauch des Vaters zulasten des Kindes ersichtlich. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entsprächen die Aussagen des Kindes einerseits einem vehementen inneren Loyalitätskonflikt, andererseits aber auch einer Instrumentalisierung des Kindes durch ihre Mutter. Vor diesem Hintergrund sei eine therapeutisch begleitete Fremdunterbringung für A. besser als ein Verbleib bei ihrer Mutter, verbunden mit der Perspektive, dass nach einer Annäherung A.s zum Vater im Wege des begleiteten Umgangs mittelfristig ein Wechsel in die Obhut des Vaters stattfinden solle, sofern es gelinge, eine gute Bindung A.s zu ihrem Vater aufzubauen. Dabei erkenne das Gericht zwar, dass zwischen A. und ihrer Mutter eine innige Bindung bestehe und A. durch die Fremdunterbringung leide. Dennoch sei der Empfehlung des Sachverständigen zu folgen, da dies unter therapeutischer Begleitung die einzige Möglichkeit sei, A. dauerhaft zu gesunden Bindungen zu ihren beiden Eltern zu verhelfen. Die teilweise Entziehung des Sorgerechts sei allerdings auch hinsichtlich des Kindesvaters erforderlich, auch wenn er sich mit der Fremdunterbringung einverstanden und seine Kooperationsbereitschaft mit dem Jugendamt erklärt habe. Ein alleiniges Sorgerecht des Vaters sei dem Kind nicht vermittelbar. Zum anderen stehe das laufende Ermittlungsverfahren gegen den Kindesvater wegen Straftaten zum Nachteil seiner Tochter derzeit einer Alleinsorge entgegen.

    Der erstinstanzliche Beschluss ist den Eltern jeweils am 13.4.2023 zugestellt worden. Am 17.4.2023 hat die Kindesmutter Beschwerde eingelegt. Dasselbe Rechtsmittel hat der Kindesvater am 19.4.2023 eingelegt.

    Mit ihrer Beschwerde macht die Kindesmutter geltend, dass A. durch die Inobhutnahme durch das Jugendamt erheblich traumatisiert wurde. Es liege eine massive Kindeswohlgefährdung vor, wenn A. weiterhin in der Obhut des Jugendamtes bleibe. Hierbei müsse besonders berücksichtigt werden, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei und insbesondere das dort in Auftrag gegebene Gutachten der Sachverständigen Dr. K. noch nicht vorliege. Sofern sich herausstelle, dass die Schilderungen des Kindes auf einem eigenen Erleben beruhten, seien die der Kindesmutter gemachten Vorwürfe nicht aufrechtzuerhalten. Jedenfalls habe sie A. in ihren Äußerungen nicht beeinflusst. Sie habe lediglich die Schilderungen ihrer Tochter ernst genommen, wobei sie den Vater-Kind-Umgang stets grundsätzlich befürwortet habe. Dahingegen gefährde der Kindesvater mit seinen Anträgen ständig das Kindeswohl, indem er es in Kauf genommen habe, dass A. aus der gewohnten Umgebung herausgerissen wurde und hierdurch schwere gesundheitliche Schäden erlitten habe.

    Mit Beschluss vom 10.5.2023 hat der Senat die Vollziehung des erstinstanzlichen Beschlusses einstweilen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gemäß § 64 Abs. 3 FamFG ausgesetzt. Ferner hat der Senat angeordnet, dass A. unverzüglich wieder in die Obhut der Kindesmutter zurückzuführen ist.

    Diesem Beschluss haben die Beteiligten Folge geleistet, so dass A. bis heute wieder in der Obhut ihrer Mutter lebt. Aktuell besucht sie die 3. Klasse der …-Schule, sie ist eine gute Schülerin und ihr geht es zur Zeit gut. Im Alltag wird sie von ihrer Mutter gut versorgt und betreut. Aufgrund eines Antrages des Kindesvaters leitete das Jugendamt einen begleiteten Umgang ein. Seit dem 5.2.2024 hat der Kindesvater einmal pro Woche für jeweils eine Stunde Umgang mit A., welcher von den Fachkräften des Instituts … in den dortigen Räumlichkeiten begleitet wird. Diese Umgangstermine, die das Jugendamt für insgesamt ein Jahr festgelegt hat, sind bislang ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. A. konnte sich jedes Mal auf ihren Vater einlassen, indem sie mit ihm spielte und sich mit ihm unterhielt.

    Der Kindesvater hat mit seiner Beschwerde zunächst angestrebt, die elterliche Sorge für A. allein zu erhalten. Es bestehe kein Grund, ihm die elterliche Sorge zu entziehen. Die Herausnahme von A. aus dem mütterlichen Haushalt sei richtig. Hierzu sei auch die externe Unterbringung von A. notwendig. Im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat der Kindesvater diese Ziele jedoch nicht weiterverfolgt. Am Ende des Senatstermins am 13.3.2024 hat der Kindesvater erklärt, mit der Wiederherstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge beider Eltern einverstanden zu sein. Er erklärte auch sein Einverständnis, dass A. in der Obhut ihrer Mutter lebt. Die Beziehung zu seiner Tochter wolle er im Wege des inzwischen eingeleiteten begleiteten Umgangs wiederherstellen.

    Beide Eltern beantragen,

    den Beschluss des Amtsgerichts vom 12.4.2023 aufzuheben.

    Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen halten das Jugendamt und der Verfahrensbeistand eine Fremdunterbringung von A. gegenwärtig nicht mehr für angezeigt. Aus heutiger Sicht sei eine Kindeswohlgefährdung, die eine Herausnahme des Kindes aus dem mütterlichen Haushalt gebiete, nicht gegeben.

    Der Senat hat zunächst das Ergebnis des aussagepsychologischen Gutachtens der im Ermittlungsverfahren beauftragten Sachverständige Dr. K. abgewartet. Dieses Gutachten wurde am 24.10.2023 vorgelegt. Hierin gelangte die Sachverständige Dr. K. zu dem Ergebnis, dass die Möglichkeit nicht abzuweisen sei, dass die Angaben von A. im Wesentlichen unzuverlässig zustande gekommen sind, dass es sich also um fremdsuggestiv erzeugte nicht-absichtliche Falschangaben oder Fantasieangaben handelte. Ein Erlebnisbezug lasse sich diagnostisch nicht belegen. Der Senat hat die amtlichen Ermittlungsakten noch einmal beigezogen. Daraus ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren bis heute nicht abgeschlossen hat.

    A. und die übrigen Beteiligten wurden vom Senat am 6.3.2024 und am 13.3.2024 persönlich angehört. In diesem Termin hat auch der Sachverständige Dr. P. sein Gutachten mündlich erläutert und ergänzt. Hierbei hat der Sachverständige Dr. P. empfohlen, A. in der Obhut ihrer Mutter zu belassen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Anhörungsvermerk vom 6.3.2024 und das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 13.3.2024 verwiesen.

    II.

    Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässigen Beschwerden der Kindeseltern führen zur Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses mit der Folge, dass die elterliche Sorge für A. wieder uneingeschränkt von beiden Eltern gemeinsam ausgeübt wird.

    Beide Beschwerden sind begründet, da die Voraussetzungen für eine vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Sorge nach §§ 1666, 1666a BGB nicht annähernd erfüllt sind. Dies gilt sowohl für die Kindesmutter als auch für den Kindesvater.

    Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes oder sein Vermögen gefährdet und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Hierbei ist insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 1666a Abs. 1 S. 1 BGB zu beachten, wonach Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig sind, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Deshalb gelten für eine Trennung des Kindes von seiner elterlichen Familie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes besonders strenge Anforderungen. Danach liegt eine Gefährdung des Kindeswohls erst dann vor, wenn eine gegenwärtige Gefahr in einem solchen Maße vorhanden ist, dass sich bei weiterer Entwicklung ohne Intervention eine erhebliche Schädigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt. Das Kindeswohl muss nachhaltig und schwerwiegend gefährdet sein (BVerfG FamRZ 2015, 112; BVerfG FamRZ 2014, 907; BGH FamRZ 2017, 212; jeweils m.w.N.). Dabei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt (BGH a.a.O.). Die bloße Besorgnis künftiger Gefährdungen genügt hingegen nicht (BVerfG FamRZ 2012, 1127; BVerfG FamRZ 2014, 907). Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen. Es gehört nicht zur Ausübung des staatlichen Wächteramts, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen (BVerfG FamRZ 2016, 439). Vielmehr gehören die Eltern und deren sozioökonomische Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (BVerfG FamRZ 2010, 713; BVerfG FamRZ 2015, 112). Das Kind hat keinen Anspruch auf „Idealeltern“ und eine optimale Förderung und Erziehung (OLG Hamm FamRZ 2013, 1994).

    Sofern eine Trennung des Kindes von den Eltern in Betracht kommt, sind nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung zu berücksichtigen und müssen durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert (BVerfG FamRZ 2021, 753; BVerfG ZKJ 2014, 242; BVerfG FamRZ 2014, 1270). Die Folgen der Fremdunterbringung für das Kind dürfen nicht gravierender sein als die Folgen eines Verbleibs in der Herkunftsfamilie (BVerfG FamRZ 2015, 208).

    Von einer derart erheblichen Gefährdung des Kindeswohls, die eine Trennung von A. von ihrer Mutter als ihre Hauptbezugsperson erforderlich macht, kann vorliegend keine Rede sein.

    Ausgangspunkt für die Erwägungen des Senats ist zunächst, dass nach Würdigung der zur Verfügung stehenden Beweismittel keine belastbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass sich der Kindesvater eines sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von A. schuldig gemacht hat. Zwar hat der Kindesvater im Rahmen der erstinstanzlichen Begutachtung und auch in der Anhörung durch den Senat eingeräumt, A. (mehrfach) im Genitalbereich eingecremt zu haben. Der Senat geht auch davon aus, dass A. dies als sehr unangenehm empfunden hat. Eine strafrechtlich relevante sexuelle Handlung des Vaters im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB ist darin jedoch nicht zu sehen. Soweit A. bei ihren Befragungen sexuelle Übergriffe des Vaters geschildert hat, sind ihre Erklärungen nicht als hinreichend glaubhaft einzustufen. Dabei ist der Einschätzung des im Verfahren 63 F 740/21 UG beauftragten Sachverständigen B. nicht zu folgen, da der Sachverständige B. die Mindestanforderungen eines aussagepsychologischen Gutachtens nicht beachtet hat. Die Exploration war mangelhaft. Die Aussageentstehung und eine mögliche Suggestivbefragung des Kindes durch die Mutter wurden nicht geprüft. Ebenso unberücksichtigt blieb die Neigung des Kindes, von offensichtlichen Fantasieerlebnissen zu berichten. Überdies zeichnet sich das Gutachten durch völlig unzureichende Begründungen aus und ist damit insgesamt als vollständig unbrauchbar zurückzuweisen. Vielmehr folgt der Senat dem aussagepsychologischen Gutachten vom 24.10.2023, welches die Sachverständige Dr. K. im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren … der Staatsanwaltschaft … erstattet hat. In diesem Gutachten ist die Sachverständige Dr. K. zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund aller Befunde die Möglichkeit nicht abzuweisen ist, dass die Angaben von A. im Wesentlichen unzuverlässig zustande gekommen sind, dass es sich also um fremdsuggestiv erzeugte nicht-absichtliche Falschangaben oder Fantasieangaben handelt. Ein Erlebnisbezug lässt sich diagnostisch nicht belegen. Im Gegensatz zu den Ausführungen des Sachverständigen B. entspricht das Gutachten der Sachverständigen Dr. K. vollständig den anerkannten wissenschaftlichen Standards, indem die Sachverständige Dr. K. die Aussagetüchtigkeit und die Aussagezuverlässigkeit anhand der Aktenlage in fachlich fundierter Weise überprüft hat. Im Rahmen ihres sehr gut und nachvollziehbar begründeten Gutachtens hat die Sachverständige Dr. K. hervorragend herausgearbeitet, dass bereits A.s Aussagetüchtigkeit eingeschränkt ist und dass auch ihre Aussagezuverlässigkeit nicht gegeben ist. Zu letzterer hat die Sachverständige Dr. K. überzeugend dargelegt, dass bei A. im fraglichen Zeitraum von einer erhöhten Suggestibilität ausgegangen werden muss und dass A. über Monate einem aufdeckenden Befragungsklima der von dem Vorliegen eines Missbrauchs überzeugten Mutter ausgesetzt war. Durch die zahlreichen Befragungen der Mutter bestand ein erhebliches Fremdsuggestionsrisiko. Vor dem Hintergrund dieser überzeugenden Darlegungen folgt der Senat der Sachverständigen Dr. K. darin, dass die Hypothese von fremdsuggestiv erzeugten nicht-absichtlichen Falschangaben oder Fantasieangaben des Kindes nicht ausgeschlossen werden kann, und dass sich ein Erlebnisbezug diagnostisch nicht belegen lässt.

    Andere belastbare Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Kindesvaters ergeben sich aus der beigezogenen Ermittlungsakte nicht. Soweit die Kindesmutter Äußerungen des Kindes wiedergegeben und teilweise sogar aufgenommen hat, lassen diese Äußerungen wegen des erheblichen Fremdsuggestionsrisikos keine sicheren Rückschlüsse auf das tatsächliche Geschehen zu. Die audio-visuelle polizeiliche Vernehmung des Kindes vom 23.12.2021 zeichnete sich durch den Einsatz vieler geschlossener Fragen und Warum-Fragen aus, die bei der Befragung von Kindern zu vermeiden sind. Auch die am 4.10.2022 vom Ermittlungsrichter durchgeführte Vernehmung von A. war durch wenig eigenständige Angaben des Kindes, einen erhöhten Aufforderungscharakter und den unzulässigen Einsatz von Suggestivfragen gekennzeichnet. („Du hast mal erzählt, dass Du von Deinem Papa an Deinem Schneckchen eingerieben wirst.“ Antwort von A.: „Ja.“) Beides hat die Sachverständige Dr. K. anschaulich dargelegt. Diese gravierenden Mängel der Vernehmungen des Kindes haben zur Folge, dass die Bekundungen des Kindes nicht als hinreichend verlässlich einzustufen sind. Auch ohne die noch ausstehende Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft … ist damit für den Senat ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Kindesvaters nicht feststellbar.

    In ähnlicher Weise hat auch das Amtsgericht die Aussagen von A. gewürdigt. Allerdings stellt der Senat klar, dass keineswegs die sichere Feststellung getroffen werden kann, dass die gegen den Vater erhobenen Vorwürfe weitgehend haltlos sind, wie das Amtsgericht gemeint hat. Die Unschuld des Kindesvaters wurde nicht bewiesen. Insbesondere hat die Sachverständige Dr. K. nicht festgestellt, dass die Aussagen des Kindes von ihrer Mutter beeinflusst wurden und in Gänze unwahr sind. Die Sachverständige hat lediglich herausgearbeitet, dass die Hypothese von fremdsuggestiv erzeugten nicht-absichtlichen Falschangaben oder Fantasieangaben des Kindes nicht ausgeschlossen werden kann, und dass sich ein Erlebnisbezug diagnostisch nicht belegen lässt. Dass die Vorwürfe der Kindesmutter falsch waren, ist damit nicht bewiesen. Eine Strafbarkeit des Kindesvaters kann lediglich nicht festgestellt werden.

    Darüber hinaus fehlte dem Amtsgericht die Grundlage für die Feststellung, dass die gegen den Vater erhobenen Vorwürfe weitgehend haltlos seien. Der Senat beanstandet in diesem Zusammenhang, dass das Amtsgericht zu einer endgültigen Einschätzung der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Kindes gelangt ist, ohne die amtliche Ermittlungsakte beizuziehen und ohne das bereits in Auftrag gegebene aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen Dr. K. abzuwarten. Derselbe Mangel liegt dem Gutachten des Sachverständigen Dr. P. zugrunde, auf dessen Ausführungen sich das Amtsgericht gestützt hat. Im Ausgangspunkt ist der Sachverständige Dr. P. zwar noch zutreffend von zwei möglichen Hypothesen ausgegangen, nämlich der Hypothese, dass ein sexueller Missbrauch stattgefunden hat, und der Hypothese, dass ein sexueller Missbrauch nicht stattgefunden hat. Dabei hat der Sachverständige Dr. P. auch in zutreffender Weise dargelegt, dass das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen Dr. K. damals noch nicht erstattet war und dieses durchaus ein strafbares Verhalten des Vaters hätte ergeben können. Es bestand aber kein Anlass, sich vor der Erstattung des aussagepsychologischen Gutachtens für die Hypothese zu entscheiden, dass der Kindesvater keine Straftaten begangen hat. Auch wenn das Gutachten der Sachverständigen Dr. K. letztendlich zu keinem wesentlich anderen Ergebnis geführt hat und der Sachverständige Dr. P. bei seiner BeUrteilung die richtigen Gesichtspunkte genannt hat – nämlich den Loyalitätskonflikt des Kindes und die mögliche Instrumentalisierung und eventuelle Beeinflussung des Kindes durch die Mutter –, fehlte dem Sachverständigen Dr. P. die Grundlage für eine abschließende Würdigung der Aussagen des Kindes, ohne die Ermittlungsakten zu kennen und ohne das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen Dr. K. abzuwarten. Überdies ist der Sachverständige nicht auf aussagepsychologische Gutachten spezialisiert. Den diesbezüglichen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen die Ausführungen des Sachverständigen Dr. P. nur teilweise. Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Kindes stellte sein Gutachten daher keine geeignete Grundlage dar.

    Für die hier zu erwägenden familiengerichtlichen Maßnahmen ist nach alledem zugrunde zu legen, dass ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Vaters nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden kann. Auch wenn die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft noch aussteht, fehlt es offensichtlich an einem hinreichenden Tatverdacht. Ebenso wenig kann allerdings mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden, dass die Mutter Falschaussagen des Kindes erzeugt hat. Dabei teilt der Senat nicht die Überzeugung des Sachverständigen Dr. P. dass von einer bewussten Manipulation und Entfremdung des Kindes durch die Mutter auszugehen sei. Tatsächlich reichen die Erkenntnisse nicht aus, um eine derart pauschale und weitreichende Betrachtung anzustellen. Überdies hat der Sachverständige Dr. P. nicht berücksichtigt, dass der Sachverständige B. der Kindesmutter zuvor bestätigt hatte, dass die Aussagen des Kindes als glaubhaft einzustufen seien. Da die Kindesmutter die Mangelhaftigkeit des Gutachtens des Sachverständigen B. nicht erkennen konnte, hatte sie aus ihrer Perspektive einen berechtigten Grund, von einem Missbrauchsgeschehen auszugehen und dieses durch weitere Befragungen umfassend aufzudecken. Dementsprechend kann keinesfalls von einer bewussten Manipulation und gewollten Entfremdung des Kindes durch die Mutter ausgegangen werden, zumal nicht bewiesen ist, dass sämtliche Aussagen des Kindes der Unwahrheit entsprachen. Immerhin hatte der Kindesvater im Rahmen der erstinstanzlichen Begutachtung eingeräumt, A. im Genitalbereich eingecremt zu haben, allerdings ohne sexuellen Bezug. Der Senat geht davon aus, dass A. diese wahre Begebenheit als sehr unangenehm empfunden hat und deshalb davon berichtet hat, was die Kindesmutter durchaus zum Anlass nehmen durfte, hellhörig zu werden und diese Handlungen zu beanstanden.

    Auf dieser tatsächlichen Basis ist die vom Amtsgericht angeordnete Teilentziehung der elterlichen Sorge gemäß §§ 1666, 1666a BGB unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt. Ebenso wenig waren und sind die hiermit verbundene Trennung des Mädchens von ihrer Mutter und die Fremdunterbringung rechtmäßig, sondern stellen eine Grundrechtsverletzung des Kindes dar. Zu Unrecht ist das Amtsgericht unter Bezugnahme auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. P. davon ausgegangen, dass die Bindungsintoleranz der Mutter, der Loyalitätskonflikt des Kindes und die vermeintlich manipulierte Ablehnung des Vaters eine Herausnahme von A. aus der Obhut ihrer Mutter rechtfertigen. Auch wenn A. ihren Vater möglicherweise tatsächlich liebt und eine gesunde Bindung zu beiden Eltern sicher dem Kindeswohl dient, ist die zu diesem Zweck vom Amtsgericht angeordnete Trennung des Mädchens von ihrer Mutter als hochgradig unverhältnismäßig einzustufen, weil hiermit die vorliegend weitaus stärker zu beachtende Mutter-Kind-Bindung und damit auch die Grundrechte des Kindes verletzt werden.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reicht die Beeinflussung des Kindes durch einen Elternteil und die dadurch bei dem Kind hervorgerufene Verweigerungshaltung gegenüber dem anderen Elternteil für sich genommen regelmäßig nicht aus, um eine Unterbringung des Kindes bei Dritten zu veranlassen. Wegen des Fehlverhaltens eines Elternteils würde das Kind ansonsten praktisch beide verlieren (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 22. September 2014 – 1 BvR 2108/14 –, FamRZ 2015, 208, Rn. 11). Überdies hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass der Wille des Kindes zu berücksichtigen ist, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist. Mit der Kundgabe seines Willens macht das Kind zum einen von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch. Ein vom Kind kundgetaner Wille kann Ausdruck von Bindungen zu einem Elternteil sein, die es geboten erscheinen lassen können, ihn in dieser Hinsicht zu berücksichtigen. Denn jede gerichtliche Lösung eines Konflikts zwischen den Eltern, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirkt, muss nicht nur auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein, sondern das Kind auch in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen, weil die sorgerechtliche Regelung entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben des Kindes nimmt und es daher unmittelbar betrifft. Hat der unter diesem Aspekt gesehene Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringeres Gewicht, so kommt ihm im zunehmenden Alter des Kindes vermehrt Bedeutung zu. Die Nichtberücksichtigung des Kindeswillens kann dann gerechtfertigt sein, wenn die Äußerungen des Kindes dessen wirkliche Bindungsverhältnisse - etwa aufgrund Manipulation eines Elternteils - nicht zutreffend bezeichnen, oder wenn dessen Befolgung seinerseits mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist und zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde (BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. November 2023 – 1 BvR 1076/23 –, FamRZ 2024, 278, Rn. 24; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. April 2021 - 1 BvR 1839/20 -, FamRZ 2021, 1201, Rn. 37, jeweils m.w.N.).

    Demgemäß kann allein eine mutmaßlich unberechtigte Umgangsverweigerung und die dem zugrunde liegende fehlende Bindungsintoleranz beim Obhutselternteil grundsätzlich nicht dazu führen, dass eine Kindeswohlgefährdung angenommen und ein Kind über eine Fremdunterbringung dazu gebracht werden kann, zu dem Elternteil zu wechseln, mit dem es aktuell jeden Umgang ablehnt. Der Beschluss des Amtsgerichts scheint von der Annahme getragen, dass der „Umgangsboykott“ das Kindeswohl derart schädigt, dass die elterliche Sorge entzogen werden muss. Vielmehr muss zwingend berücksichtigt werden, dass A. – so zeigte die erstinstanzliche Kindesanhörung vom 30. März 2023 – durch die abrupte Herausnahme aus dem Haushalt ihrer Mutter, die für A. seit ihrer Geburt die maßgebliche Bezugsperson ist, sehr stark traumatisiert wurde. A. fühlt sich mit ihren Aussagen nicht gehört und bestraft, erkennt außerdem eine für sie völlig unverständliche Bestrafung der Mutter. Der Senat kann nicht erkennen, dass die Gefühls- und Vorstellungswelt des Kindes – mithin dessen Grundrechte (vgl. zur verfassungsgemäß gebotenen Achtung der Äußerungen und des Willens des Kindes auch Brandenburgisches Verfassungsgericht, Beschluss vom 24.01.2014 - VfGBbg 13/13) – bei den notwendigen Abwägungen nach § 1666a BGB adäquat berücksichtigt worden sind. A. hatte sich bis zum Zeitpunkt der Herausnahme aus dem Haushalt ihrer Mutter klar dahin geäußert, dass sie keinen Umgang mit dem Vater wünscht. Der Sachverständige hatte zwar auch herausgefunden, dass das nicht der inneren Gefühlslage des Kindes entsprach, das sich durchaus nach dem Vater sehnte. Klar geworden war aber auch, dass A. den zweifelsohne bestehenden massiven Loyalitätskonflikt so bewältigt, dass sie lieber die Umgangskontakte mit dem Vater meidet und mit ihrer Mutter friedlich und zufrieden zusammenlebt, als Umgänge wahrzunehmen und weniger harmonische Erlebnisse mit der Mutter zu teilen. Aus der Perspektive des Kindes war das der Kompromiss, der A. zu dem vollkommen unauffälligen, sehr intelligenten Kind machte, welches im Gutachten des Sachverständigen Dr. P. beschrieben ist. Ein solches Kind in einer stationären Einrichtung unterzubringen, damit die Beziehung des Kindes zum Vater aufgebaut werden kann, und gleichzeitig durch ein Umgangsverbot die Beziehung des Kindes zur Mutter gleichsam auszuschalten, stellt einen nicht zu begründenden Eingriff in die grundgesetzlich verbürgten Persönlichkeitsrechte des Kindes dar.

    Dieser Wille des inzwischen 9 Jahre alten Mädchens kann kaum unberücksichtigt bleiben. Die im Beschwerdeverfahren durchgeführte Kindesanhörung hat bestätigt, dass A. unbedingt bei ihrer Mutter wohnen bleiben möchte. Zum Vater möchte sie lediglich Besuchskontakte haben, wobei sie sich aktuell lediglich begleiteten Umgang vorstellen kann. Auch wenn die Begutachtung ergeben hat, dass A. sich durchaus auch nach ihrem Vater sehnte, besteht kein Zweifel daran, dass die Kindesmutter ihre Hauptbezugsperson ist. Da die Eltern kaum zusammengelebt haben und A. durchgehend bei ihrer Mutter aufgewachsen ist, ist offensichtlich, dass A.s Bindungen am stärksten zu ihrer Mutter ausgeprägt sind und sie deshalb in ihrer Obhut bleiben möchte. Die Befolgung dieses Kindeswillens führt auch unter Berücksichtigung der Einschätzung des Sachverständigen Dr. P. kaum zu einer Kindeswohlgefährdung im Sinne von §§ 1666, 1666a BGB. Die vom Sachverständigen beschriebenen Defizite – nämlich der Loyalitätskonflikt, die Bindungsintoleranz der Mutter und die gemutmaßte Manipulation des Kindeswillens sowie die stattgefundene Vater-Kind-Entfremdung – sind nicht als Kindeswohlgefährdung einzustufen. Die genannten Defizite sind nicht als ein derart gravierendes mütterliches Fehlverhalten zu qualifizieren, dass ein Verbleib von A. im mütterlichen Haushalt nicht mehr zu verantworten ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Kindesmutter durchgehend in der Lage ist, A. ein ausreichend kindgerechtes Umfeld zur Verfügung zu stellen und sie in ihren sozialen Fähigkeiten zu unterstützen, wie der Sachverständige Dr. P. in seinem schriftlichen Gutachten vom 16.3.2023 dargelegt hat. A. ist bei ihrer Mutter gut aufgehoben. Ihre schulische Entwicklung ist gut und im Alltag des Kindes kommt es zu keinen Auffälligkeiten. Sie geht gern in die Schule und zeigt ein gutes Sozialverhalten. Auch die Kindesanhörung ergab ein in jeder Hinsicht intelligentes und gut entwickeltes Kind. Daraus folgt, dass die Kindesmutter im Wesentlichen als erziehungsfähig anzusehen ist. Eine Herausnahme des Kindes aus diesem Haushalt allein zur Wiederherstellung der Vater-Tochter-Beziehung kann daher kaum mit dem Kindeswohl vereinbart werden. Vielmehr hat die Inobhutnahme des Kindes zu einer schweren Traumatisierung von A. geführt. Allein hierin war eine Kindeswohlgefährdung zu sehen, die sich nicht wiederholen darf.

    Allein auf eine Bindungsintoleranz der Mutter abzustellen, wäre nach Ansicht des Senats auch deswegen verfehlt, weil das Verhalten des Vaters ebenfalls Züge von Bindungsintoleranz trägt. Er hat über lange Zeit die Trennung des Kindes von der Mutter befürwortet. Auch ihm fällt es offenbar schwer, die Bindung des Kindes zur Mutter als auch positiv zu bewerten; ihm ist offenbar lange nicht hinreichend klar gewesen, dass A. sehr leidet, wenn sie nicht bei ihrer Mutter leben kann. Bei einer Abwägung der beiderseitigen Erziehungsfähigkeit kann dieser Aspekt nach Auffassung des Senats nicht unberücksichtigt bleiben.

    Unter Berücksichtigung der negativen Auswirkungen der erfolgten Fremdunterbringung hat schließlich auch der Sachverständige Dr. P. dem Senat empfohlen, A. in der Obhut ihrer Mutter zu belassen. Im Senatstermin am 13.3.2024 hat der Sachverständige richtig dargelegt, dass die Nachteile einer Fremdunterbringung die Vorteile überwiegen würden, und dass er aus diesem Grund an seiner erstinstanzlichen Empfehlung nicht festhält. Dieser geänderten Empfehlung des Sachverständigen ist zu folgen, weil sie dem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsatz entspricht, dass die Folgen der Fremdunterbringung für das Kind nicht gravierender sein dürfen als die Folgen eines Verbleibs in der Herkunftsfamilie (BVerfG a.a.O.). Der Verfahrensbeistand und das Jugendamt haben sich der aktuellen Empfehlung des Sachverständigen angeschlossen.

    Vor diesem Hintergrund hat auch der Vater schließlich erkannt, dass eine Herausnahme seiner Tochter aus dem mütterlichen Haushalt das Kindeswohl schädigen würde. Gegen Ende des Senatstermins am 13.3.2024 hat der Kindesvater sein Einverständnis erklärt, dass A. bei ihrer Mutter lebt. Gleichzeitig hat er seine weitergehenden Anträge auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts zurückgenommen. Lediglich aus Gründe:n der Vollständigkeit stellt der Senat dabei klar, dass auch die vom Kindesvater mit Schriftsatz vom 8.3.2024 zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.9.2014 (1 BvR 2108/14, FamRZ 2015, 208) kein anderes Ergebnis rechtfertigt. Sofern das Bundesverfassungsgericht in jenem Verfahren eine Fremdunterbringung des dort betroffenen Kindes nicht beanstandet hat, liegt ein anderer Sachverhalt zugrunde. Im dortigen Verfahren zeigte das Kind extreme Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu Suizidgedanken, so dass der dort bestellte Sachverständige schlüssig dargelegt hatte, dass die Heimunterbringung in jenem Verfahren die weniger schädliche Alternative für das Kind war. Beides ist hier bei A. nicht der Fall; sie ist eine gute, im Sozialverhalten völlig unauffällige Schülerin und geht im Alltag altersgerechten Hobbies nach.

    Nach alledem wird die Vater-Tochter-Beziehung vorliegend ausschließlich im Wege des begleiteten Umgangs wiederherzustellen und zu intensivieren sein, den das Jugendamt inzwischen im wöchentlichen Rhythmus angebahnt hat. Nach Auffassung des Senates handelt es sich um den einzig dem Kindeswohl entsprechenden Weg, Vater-Kind-Begegnungen wieder zu ermöglichen. Inwieweit der Umgang zukünftig unbegleitet stattfinden kann, wird vom weiteren Verlauf des begleiteten Umgangs abhängen.

    Damit kann der zulasten der Kindesmutter angeordnete Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge keinen Bestand haben. Dasselbe gilt, soweit das Amtsgericht dem Kindesvater dieselben Bereiche der elterlichen Sorge entzogen hat. Anhaltspunkte einer Kindeswohlgefährdung durch den Vater bestehen nicht. Auch im Übrigen sind keine Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB erforderlich, so dass der erstinstanzliche Beschluss vom 12.4.2023 ersatzlos aufzuheben ist.

    In der Folge üben die Eltern das Sorgerecht für A. damit wieder uneingeschränkt gemeinsam aus.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Da es sich um ein Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB handelt, ist eine Beteiligung der Eltern an den Gerichtskosten nicht sachgerecht. Der Senat ordnet daher die Nichterhebung von Gerichtskosten an, und zwar entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts auch für die erste Instanz. Ihre außergerichtlichen Kosten haben die Beteiligten jeweils selbst zu tragen.

    Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

    Dr. Lies-Benachib Oliva Usdowski