OLG Frankfurt vom 14.06.2000 (5 UF 81/99)

Stichworte:
Normenkette: BGB 1671 Abs. 2 Nr. 2
Orientierungssatz: Zu den Voraussetzungen einer "gemeinsamen elterlichen Sorge" nach dem KindRG; gemeinsame elterliche Sorge als normativer Regelfall.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Berufungsbeschwerde des Antragsgegners gegen das Scheidungsverbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt/Main vom 04.02.1999 am 14.06.2000 beschlossen:

Die Berufungsbeschwerde wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 1.500 DM.

Gründe

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Scheidungsverbundurteil die Ehe der Parteien geschieden und - neben der Entscheidung über andere Folgesachen - die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder der Parteien S. F., geboren am 16.06.1993, und G. N., geboren am 02.04.1996, auf die Antragstellerin alleine übertragen. Dagegen richtet sich die Berufungsbeschwerde des Antragsgegners, mit der er in erster Linie die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge für beide Eltern oder (hilfsweise) die alleinige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Antragstellerin und im übrigen die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge beider Eltern erreichen will.

Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Der Senat ist wie das Amtsgericht der Auffassung, daß die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf die Antragstellerin dem Wohle der Kinder am besten entspricht (§ 1671 Abs. 2 Ziff. 2 BGB).

Für die Entscheidung im konkreten Fall kann es nach Auffassung des Senats dahinstehen, ob der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts die gemeinsame elterliche Sorge als (normativen) Regelfall vorgesehen hat (Bundesverfassungsgericht, 1. Kammer des 2. Senats, FamRZ 1999, 1577, 1578 im Zusammenhang mit der Frage aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber Ausländern; Palandt-Diederichsen, BGB, 59. Auflage, § 1671, Rn 18), was der Wortlaut des Gesetzes nahezulegen scheint, und ob damit eine Präferenz des Gesetzgebers zu Gunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge zum Ausdruck kommen soll oder ob der gesetzgeberische Wille im Gegenteil nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs die gemeinsame Sorge nicht gegenüber der Alleinsorge im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses begünstigen, insbesondere der gemeinsamen Sorge kein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt werden soll (vgl. BT-Drucksache 13/4899, S. 63), wie der 3. Familiensenat des OLG Ffm mit Beschluß vom 14. September 1998 (3 UF 89/98, FamRZ 99, 324) entschieden hat. Jedenfalls kann dem Gesetz durch Auslegung nicht entnommen werden, die Neuregelung enthalte ein Regel-Ausnahmeverhältnis in dem Sinne, daß die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als "ultima-ratio" in Betracht kommen könne (BGH FamRZ 99, 1646, 1647). Selbst wenn nach der Neuregelung die gemeinsame elterliche Sorge als der normative Regelfall betrachtet werden müßte, bedarf es zur Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil alleine nach dem Wortlaut des Gesetzes (nur) der Überzeugung des Familiengerichts, die Aufhebung der gemeinsamen Sorge entspreche dem Wohle des Kindes am besten. Damit ist eine Prüfung des Kindeswohls erforderlich, welche die fehlende Zustimmung des anderen Elternteils zur Übertragung der Alleinsorge kompensieren soll. Nicht erforderlich ist demnach ein Begründungsaufwand, wonach nur exzeptionelle Umstände überhaupt eine Sorgerechtsübertragung auf einen Elternteil ausnahmsweise erforderlich machten. Demnach ist das Kindeswohl der Maßstab, was im Ergebnis dazu führt, daß bei fehlender Kooperationsfähigkeit der Eltern gleich auf welchem Gebiet (denn diese Differenzierung ist für Kinder nicht nachvollziehbar) bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse infrage steht, ob der Streit der Eltern negative Einflüsse auf die Entwicklung und das Wohl der Kinder hat oder ob die Erwartung gerechtfertigt ist, daß die Eltern in der Lage sein werden im Sinne der gemeinsamen Elternverantwortung auf längere Sicht zum Wohle der Kinder zu kooperieren, was Meinungsunterschiede zwischen ihnen nicht ausschließt.

Bei Würdigung des Sachverhalts nach diesen Grundsätzen hält es der Senat aus Gründen des Kindeswohls für geboten, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und diese vollständig auf die Antragstellerin zu übertragen. Die Antragstellerin hat die Kinder in der Vergangenheit überwiegend betreut, kann die Kinder gut fördern und ist, wie der Berichterstatter als beauftragter Richter des Senats bei der Anhörung als seinen Eindruck erfahren hat, an einer guten Entwicklung deren Beziehungen zu ihrem Vater interessiert. Bei ebenfalls guter Erziehungseignung des Vaters und deutlichen Interesses an einer positiven Entwicklung seiner Kinder steht aber dem gemeinsamen Sorgerecht entgegen, daß die Eltern sich in Bezug auf die Kinder in einer Reihe von Fragen grundsätzlicher oder auch nur lebenspraktischer Art nicht einigen können, obwohl sie das schon über einen längeren Zeitraum auch mit Hilfe von Beratungsstellen versuchen.

Entgegen der Beschwerdebegründung stellt der Vater den Aufenthalt der Kinder bei der Mutter immer wieder infrage. Mit Fax vom 30.11.1998 (Bl. 5 EA Nr. II) beansprucht er das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Bei der vom Senat angeregten weiteren Beratung bei der "iaf", die zu keiner Einigung der Eltern führte, hat er wiederum den Verbleib der Kinder bei der Mutter infrage gestellt, was er mit Schriftsatz vom 17.01.2000 sinngemäß einräumt.

Vereinbarte Besuche werden nicht durchgeführt oder kurzfristig abgesagt, so daß die Antragstellerin, die eine Teilzeitbeschäftigung ausübt, genötigt ist, kurzfristig für die anderweitige Betreuung der Kinder zu sorgen. Dies führte in der Vergangenheit zu verschiedenen Vorschlägen von Beratungsstellen betreffend den Umgang des Vaters mit den Kindern und zu Vereinbarungen der Eltern, die nur für kurze Zeit zu einer Befriedung führten. Die Einschätzung des Jugendamtes in dem Bericht vom 18.11.1998 hat sich demnach durch die weitere Entwicklung bestätigt: Die Eltern haben zwar den Wunsch, ihre Konflikte zu bereinigen und auf der Elternebene zu kooperieren, wegen des vorhandenen gegenseitigen Mißtrauens gelingt dies jedoch trotz Unterstützung durch Beratung nicht.

Das Infragestellen des Verbleibs der Kinder bei der Mutter ist besonders konfliktträchtig, weil einerseits der Antragsgegner beruflich ( Freiberuflicher Gutachter der GTZ vor allem in den Ländern Arabiens) zu einer kontinuierlichen Betreuung der Kinder nicht in der Lage ist und andererseits damit die Furcht der Mutter verstärkt wird, der Vater würde die Kinder aus ihrem Einflußbereich in seine Heimat entführen. Diese Furcht ist nach Ansicht des Senats zwar mit objektiven Gründen nicht zu untermauern, stört aber die Kooperationsfähigkeit der Eltern beträchtlich. Die Einschätzung des Jugendamtes, nach der die Kinder, besonders der ältere Sohn S., unter dem Streit der Eltern leiden, kann daher leicht nachvollzogen werden. Es erscheint nach alledem ausgeschlossen anzunehmen, die Eltern seien in der Lage, zum Wohle ihrer Kinder gedeihlich zusammenwirken.

Der Senat kann nicht feststellen, daß die Antragstellerin - wie es der Vortrag des Antragsgegners nahelegt - den Konflikt der Eltern mit dem Ziel verstärkt, das Familiengericht und den Senat eben wegen des Konflikts zu einer Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sie zu bewegen. Er hält die Ausführungen des Antragsgegners in diesem Zusammenhang für vom Fall abstrakt und eher theoretischer Natur.

Die mangelnde Konsens- und Kooperationsbereitschaft führt, weil eine Änderung des Verhaltens über einen längeren Zeitraum nicht beobachtet werden konnte, im Interesse der Kinder zur Beendigung der gemeinsamen elterlichen Sorge und zur Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Antragstellerin. Durch die Übertragung nur eines Teilbereichs der elterlichen Sorge (etwa des Aufenthaltsbestimmungsrechts) auf die Mutter und die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im übrigen kann nach Einschätzung des Senats das

Konfliktpotential zwischen den Eltern nicht so verringert werden, daß eine bessere Kooperation - insbesondere über die Ausgestaltung des Umgangsrechts - zu erwarten wäre.

Eine erneute Anhörung vor dem Senat erscheint zur Entscheidungsfindung nicht notwendig, nachdem das Jugendamt, das Amtsgericht und der Senat zu einer übereinstimmenden Auffassung hinsichtlich der Regelung der elterlichen Sorge gelangt sind, sich die Kooperationsschwierigkeiten der Eltern auch aus den Akten ergeben.

Die weitere Beschwerde ist nicht zuzulassen, da der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - insbesondere FamRZ 1999, 1646 - abweicht (§§ 629 a Abs. 2, 621 e Abs. 2, 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Wertfestsetzung auf § 12 GKG.

Dr. Hartleib Meinecke Held