OLG Frankfurt vom 16.02.1999 (2 UF 386/98)

Stichworte: elterliche Sorge, Ausübung, mißbräuchliche, Versagen, unverschuldetes
Normenkette: BGB 1666, 1666a
Orientierungssatz: Zu den Voraussetzungen des Entzugs des Aufenthaltsbestimmungsrechts

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

betreffend das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das minderjährige Kind

hat der 2. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter Schreiber und die Richter Bielefeldt und Kirsch am 16. Februar 1999 beschlossen:

Die Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts Bad Arolsen vom 10. September 1998 wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; etwaige außergerichtliche Kosten der Verfahrensbeteiligten haben die Beschwerdeführer zu tragen.

Beschwerdewert: 1.500 DM.

G r ü n d e :

Mit Beschluß vom 10.09.1998 hat das Amtsgericht den aus dem Libanon stammenden Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Sorge für die Gesundheit sowie die schulische Ausbildung für das minderjährige Kind M. entzogen und gemäß §§ 1666, 1666 a BGB dem Jugendamt Korbach als Pfleger übertragen.

Die hiergegen gerichtete - mangels Zustellung zulässige - Beschwerde der Eltern ist unbegründet.

Mit ausführlicher Begründung hat das Amtsgericht nach Anhörung aller Beteiligten zutreffend dargelegt, daß das Wohl des Kindes gefährdet ist und daß, weil die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, zur Abwendung derselben die angeordneten Maßnahmen erforderlich sind (§ 1666 BGB). Sie sind auch zulässig, weil nicht ersichtlich ist, daß der Gefahr auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen begegnet werden kann (§ 1666 a BGB). Das Amtsgericht ist aufgrund seiner Ermittlungen, insbesondere der Anhörung der 1983 in Beirut geborenen Jugendlichen, die seit 1990 in Deutschland lebt, zum Ergebnis gekommen, daß eine Rückkehr der Jugendlichen in den Familienverbund derzeit jedenfalls nicht verantwortet werden kann. Dabei hat es letztlich offen gelassen, ob das Wohl des Kindes durch eine mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge oder durch unverschuldetes Versagen der Eltern gefährdet ist. Diesen Überlegungen tritt der Senat in vollem Umfang bei. Denn die Anhörung der Jugendlichen am 20.01.1999 hat auch den Senat davon überzeugt, daß die 15 1/2-jährige Jugendliche selbständig für sich eine Lebensplanung entwickelt hat, die sich an den in Deutschland üblichen Vorstellungen orientiert und der die Eltern keine Rechnung tragen wollen oder können, was vermutlich unverschuldet, in ihrer Herkunft begründet ist. Dabei ist nicht von entscheidender Bedeutung, ob die bei der Verlobung mit einem 32-jährigen Cousin der Mutter im Dezember 1997 14-jährige Jugendliche mit dieser Verlobung "einverstanden" war oder dazu gezwungen werden mußte, wie es M. darstellt und was auch mit einem Video von dieser Veranstaltung (auf dem die Jugendliche mit fröhlichem Gesicht zu sehen sein soll) nicht widerlegt werden kann. Von Bedeutung ist vielmehr, daß die Jugendliche (nunmehr jedenfalls) andere Vorstellungen von ihrem weiteren Leben hat, die ihre Eltern nicht akzeptieren wollen oder können. Für die Vorstellung der Eltern, daß hinter allem nur das Jugendamt stecke, hat der Senat keine Anhaltspunkte finden können. Konkret begründet erscheint hingegen nach den handgreiflichen Vorfällen in der Rechtsanwaltskanzlei in Korbach im Juli 1998 und in der Innenstadt von Göttingen am 5. August 1998 die Furcht der Jugendlichen, daß sie bei einer Rückkehr in die Familie mit Gewalt an der von ihr angestrebten weiteren Entwicklung, nämlich weiterhin die Schule zu besuchen und einen Beruf zu erlernen, gehindert und daß sie nötigenfalls auch in den Libanon zurückgebracht werden würde. Letztlich ist nicht einmal die Angst der Jugendlichen vor einer Bedrohung ihres Lebens von der Hand zu weisen. Sie ist sich durchaus bewußt, daß sie mit ihrer Weigerung, dem Willen ihrer Eltern zu folgen, "Schande über die Familie" bringt.

Nach allem muß aus derzeitiger Sicht die angefochtene Entscheidung aufrechterhalten werden. Mit dem Amtsgericht ist der Senat auch der Auffassung, daß es zunächst dem Jugendamt als Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts überlassen bleiben muß, in eigener Verantwortlichkeit zu prüfen, wann und gegebenenfalls unter welchen Umständen wieder Kontakte der Jugendlichen zu ihrer Familie hergestellt werden können.

Die Beschwerde ist danach mit der Kostenfolge aus §§ 131 Abs. 3 KostO, 13 a Abs. 1 FGG zurückzuweisen.

Schreiber Bielefeldt Kirsch