OLG Frankfurt vom 01.10.2013 (1 UF 121/13)

Stichworte: Ausgleichswert, Barwert, Rechnungszins;
Normenkette: VersAusglG 14,17,47
Orientierungssatz: Bei der Errechnung des Barwerts einer extern auszugleichenden Versorgungsanwartschaft kann der Versorgungsträger grundsätzlich auf den Rechnungszins zurückgreifen, den er auch für die bilanzielle Bewertung von Rückstellungen und Altersvorsorgeverpflichtungen verwendet. Eine Grenze ist (in Niedrigzinsphasen) allerdings dort zu ziehen, wo der Rechnungszins nicht nur die aktuell marktüblichen Zinsen, sondern auch den von der der Bundesbank gemäß § 253 Abs. 2 S. 3 HGB regelmäßig festgelegten pauschalierten Rechnungszins überschreitet.

32 F 642/09
AG Seligenstadt

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache pp.

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 01. Oktober 2013 beschlossen:

Die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1.) und die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Seligenstadt vom 04.03.2013 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Anrecht in Ziff. 3 des Tenors nicht bei der Versorgungsausgleichskasse, sondern bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen - Versicherungs-Nr.- zu begründen und nur bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung mit dem angegebenen Zinssatz zu verzinsen ist.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 1.000,- Euro festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 06.12.2012 hatte das Familiengericht die Ehe der Beteiligten geschieden. Das Verfahren über den Versorgungsausgleich wurde im Scheidungsbeschluss abgetrennt. Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Versorgungsausgleich durchgeführt. Unter anderem wurde unter Ziffer 3. des Beschlusstenors die externe Teilung eines Anrechts des Antragsgegners bei der Deutschen Lufthansa AG, der weiteren Beteiligten zu 1.) angeordnet. Die Antragstellerin hatte ihr Wahlrecht gemäß § 15 Abs. 1 VersAusglG dahingehend ausgeübt, dass sie die weitere Beteiligte zu 5.) als Zielversorgungsträgerin bestimmt hat.

In seiner Entscheidung hat das Familiengericht bei der Berechnung des Ausgleichswerts hinsichtlich des Anrechts des Antragsgegners bei der Deutschen Lufthansa AG nicht den Rechnungszins von 6 %, den die Lufthansa verwendet hat, übernommen und auch nicht den von der Antragstellerin geforderten Rechnungszins von 3,25 %, sondern es hat einen Rechnungszins von 5,25 % verwendet. Dieser Zinssatz entsprach zum maßgeblichen Zeitpunkt dem Rechnungszins, der seit der Neufassung des § 253 HGB durch das Bilanzmodernisierungsgesetz von 2009 gemäß § 253 Abs. 2 für die bilanzielle Bewertung von Rückstellungen mit noch fünfzehnjähriger Restlaufzeit des Unternehmens zu verwenden war. Dieser Zinssatz wird monatlich von der Deutschen Bundesbank festgelegt und bekannt gemacht (sog. BilMoG-Zinssatz). Das Amtsgericht hat ferner einen zukünftigen Rententrend von 1 % berücksichtigt. Bei der konkreten Berechnung des Ausgleichswerts hat sich das Familiengericht auf das eingeholte Gutachten des Sachverständigen X gestützt.

Gegen die Berechnung der Höhe des Ausgleichswerts richten sich die Beschwerden der weiteren Beteiligten zu 1.) und der Antragstellerin. Daneben hat die Antragstellerin einen Berichtigungsantrag gestellt, dem im Rahmen dieser Entscheidung durch Berichtigung des Tenors des erstinstanzlichen Beschlusses zu Ziff. 3. entsprochen werden konnte.

II.

Die eingelegten Beschwerden sind zwar zulässig gemäß den §§ 58 ff. FamFG, sie führen jedoch nicht zum Erfolg. Der Senat folgt vielmehr der Berechnung des Ausgleichswerts, die das Familiengericht vorgenommen hat.

Insbesondere ist der vom Amtsgericht zugrunde gelegte Rechnungszins von 5,25 % nicht zu beanstanden, da er dem von der Deutschen Bundesbank gemäß § 253 Abs. 2 S. 2 HGB für den maßgeblichen Zeitpunkt, d.h. für das Ende der Ehezeit angegebenen, pauschalierten, d.h. auf eine Restlaufzeit von 15 Jahren anzusetzenden Rechnungszins (BilMoG-Zinssatz) entspricht. Mit der Verwendung dieses Rechnungszinses hat das Familiengericht zum einen nicht in unangemessener Weise in die Dispositionsfreiheit der weiteren Beteiligten zu 1.) bei der Berechnung des Ausgleichswerts eingegriffen, indem es den Rechnungszins von 6 % auf 5,25 % herabgesetzt hat. Zum anderen verletzt die Wahl dieses Zinssatzes aber im Ergebnis auch nicht den im Versorgungsausgleichsrecht geltenden Halbteilungsgrundsatz.

Zwar führt die Verwendung eines unterschiedlichen Rechnungszinses von Ausgangs- und Zielversorgung dazu, dass deutliche Unterschiede in der Höhe der zu erwartenden Renten bei dem Ausgleichsverpflichteten und der Ausgleichsberechtigten entstehen (OLG München, FamRZ 2012, S. 130, zitiert nach Juris Rz. 19; OLG Bremen, FamRZ 2012, 637, zitiert nach Juris Rz. 2 ff.; OLG Hamm, FamRZ 2012, 1306, zitiert nach Juris Rz. 12; Jaeger FamRZ 2010, 1714; Hauß FamRZ 2011, S. 88). Diese Unterschiede rühren von dem Zinsgefälle her, das zwischen dem Rechnungszins besteht, der bei der Ermittlung des Kapitalbetrages der auszugleichenden Versorgung zugrunde gelegt wird, und demjenigen Rechnungszins, der in der Zielversorgung erreicht werden kann. Die - gemäß § 253 Abs. 2 S. 2 HGB pauschalierten - BilMoG-Zinssätze, die dem durchschnittlichen Marktzinssatz der zurückliegenden 7 Jahre entsprechen, lagen seit 2009 bis Anfang 2013 immer über 5 %, allerdings mit fallender Tendenz. (Im August betrug der pauschalierte BilMoG-Zinssatz lediglich noch 4,92 %.). Eine Rendite in dieser Höhe konnten zum Stichtag Ehezeitende und können derzeit jedoch weder die Versorgungsausgleichskasse noch andere Zielversorgungsträger auf dem Kapitalmarkt erwirtschaften (Initiativstellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins zur Reform des Versorgungsausgleichs, FamRZ 2013, 928 ff.). Trotz dieser strukturellen Ungleichheit wird jedoch im Ergebnis der Halbteilungsgrundsatz aus § 1 VersAusglG nicht verletzt, denn dieser fordert nicht, dass die zu erwartenden Renten bei unterschiedlichen Versorgungen für den Verpflichteten und den Berechtigten immer gleich hoch sein müssen (OLG München, a.a.O., Rz. 20; a.A.: OLG Hamm, a.a.O., Rz. 15, welches sich für eine Korrektur des Zinssatzes und damit des Ausgleichswerts ausspricht). Vielmehr lag es im gesetzgeberischen Ermessen, diese strukturellen Unterschiede in der Höhe der zu erwartenden Renten beim Ausgleichsverpflichteten und beim Ausgleichsberechtigten hinzunehmen (OLG Koblenz, FamRZ 2013, 462, Ls. 2).

Der Gesetzgeber hat die Wahl des Rechnungszinses für die Diskontierung nach der Gesetzesbegründung grundsätzlich den Versorgungsträgern überlassen (BT-Drucks. 16/10144, S. 85). So lehnt sich § 45 VersAusglG so weit wie möglich an das Bewertungsrecht des Betriebsrentengesetzes an, was zur Folge hat, dass die betrieblichen Versorgungsträger (grundsätzlich) mit den Bewertungsvorschriften arbeiten können, die ihnen aus dem jeweiligen betrieblichen Versorgungssystem geläufig sind (BT-Drucks. 16/10144 S. 82). Den korrespondierenden Kapitalwert gemäß § 47 VersAusglG können die Versorgungsträger, folgt man der Gesetzesbegründung, ebenfalls nach den spezifischen Rechnungsgrundlagen des jeweiligen Versorgungswerks ermitteln (BT-Drucks. 16/10144, S. 84). Als Maßstab für die Wahl des Rechnungszinses, mit dem diskontiert wird, nennt der Gesetzgeber den Zins, der auch für die bilanzielle Bewertung der entsprechenden Pensionsverpflichtung gilt, also mittlerweile den oben zitierten BilMoG-Zinssatz nach § 253 Abs. 2 HGB (BG-Drucks. 16/10144, S. 85). Hierzu ergänzt die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 11.02.2009, dass das damals neue handelsrechtliche Bewertungsrecht zu realistischen Stichtagswerten führe, die auch für die Zwecke des Versorgungsausgleichs nutzbar gemacht werden könnten. Ausdrücklich betont die Begründung, dass mit dem neuen BilMoG-Zinssatz in Zukunft ein klar definierter Rechnungszins zur Verfügung stehe, wohingegen der steuerliche Rechnungszins von 6 % nach § 6a EStG nicht mehr herangezogen werden könne (BT-Drucks. 16/11903, S. 56; vgl. auch Höfer, Betriebliche Altersversorgung und die Neuregelung des Versorgungsausgleichs, Der Betrieb 2010, 1010, 1011). Gleichermaßen führt auch der Sachverständige im Gutachten vom 18.01.2013, dort Seite 4, aus.

Dies steht nun allerdings im Gegensatz zu der seitens der weiteren Beteiligten zu 1.) vertretenen Auffassung, auch ein Rechnungszins von 6 % sei von den Beteiligten und insbesondere von der Ausgleichsberechtigten hinzunehmen. Der Rechnungszins, den die weitere Beteiligte zu 1.) verwendet wissen will, liegt mit 6 % weit über dem pauschalierten BilMoG-Zinssatz von seinerzeit 5,25 %. Es würde eine vom Berechtigten nicht mehr hinnehmbare Benachteiligung durch die Wahl dieses eklatant zu hohen Rechnungszinses bei der Berechnung des Ausgleichswerts entstehen, die durch das Familiengericht im Wege einer Korrektur des Zinssatzes und der Berechnung vermieden werden muss (vgl. auch OLG Bremen, a.a.O., zitiert nach Juris Rz. 3, allerdings mit der Besonderheit, dass das OLG Bremen nicht den pauschalierten BilMoG-Zinssatzes, der für eine Restlaufzeit von 15 Jahren gilt, verwenden will, sondern einen spezifischen Zinssatz, d.h. den Zinssatz, der gelten würde, wenn man die Zeit vom Ehezeitende bis zum voraussichtlichen Eintritt des Versorgungsfalles abzuzinsen hätte). Übersteigt somit der von dem Versorgungsträger gewählte Rechnungszins noch die mit Blick auf die gegenwärtigen Marktzinsen schon bereits hoch angesetzte Grenze des BilMoG-Zinssatzes, so hat das Familiengericht hier eine Korrektur vorzunehmen. Demgemäß war der Rechnungszins von 6 %, der sich auf Seiten der weiteren Beteiligten zu 1.) noch an deren letzten attestierten Handelsbilanzen ausrichtete und der nach dem Schriftsatz der weiteren Beteiligten zu 1.) vom 23.07.2013 im Übrigen auch gemäß § 10 Abs. 5 des Tarifvertrages Lufthansa-Betriebsrente und durch den Verweis auf den oben zitierten § 6 a EStG für die Abfindung unverfallbarer Anwartschaften zugrunde gelegt wurde, maßvoll zumindest auf den zitierten, seinerzeit geltenden Zinssatz von 5,25 % zu reduzieren. Auch der Bundesgerichtshof hatte übrigens in einer Entscheidung bereits einen Rechnungszins von 5,25 % nicht beanstandet (BGH vom 07.09.2011 Rz. 28, FamRZ 2011, 1785, 1788, vgl. auch Beschluss des hiesigen Senats vom 05.08.2013, 1 UF 315/11).

Auf der anderen Seite liegt aber auch keine von den Gerichten nach eigenem, freiem Ermessen auszufüllende Gesetzeslücke vor, die über die oben beschriebenen Möglichkeiten hinaus eine Veränderung des gewählten Rechnungszinses durch das Gericht ohne weiteres ermöglichen würde (OLG München, a.a.O., Rz. 20). Dies gilt - wie das Familiengericht richtig erkannt hat - vollumfänglich im Hinblick auf die seitens der Antragstellerin geforderte Herabsetzung des Rechnungszinses auf 3,25 % unter Berufung auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 06.02.2012, FamRZ 2012, 1306. Für eine Ersetzung des seitens des Versorgungsträgers des Verpflichteten üblicherweise verwendeten bzw. - wie hier - auf den geltenden BilMoG-Zinssatz reduzierten Rechnungszinses durch einen Zinssatz, der zum Zeitpunkt der Entscheidung gerade aktuell marktüblich ist, fehlt es daher an einer Grundlage.

Im Übrigen nimmt der Senat zur weiteren Berechnung des Ausgleichswertes Bezug auf die ausführliche Erläuterung der Höhe der Versorgungsanwartschaft im Gutachten des Sachverständigen Glockner vom 18.01.2013.

Schließlich war im Rahmen der externen Teilung die Verzinsung des Ausgleichswertes für den Zeitraum seit dem Ende der Ehezeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Versorgungsausgleich anzuordnen (vgl. BGH, Beschluss vom 06.02.2013, Ls. c), FamRZ 2013, S. 1019 f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 81 Abs. 1 FamFG und die Wertfestsetzung auf § 50 Abs. 1 Satz 12 FamGKG.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sind im Hinblick auf die Frage, welcher Zinssatz bei der Ermittlung des Ausgleichswertes eines Anrechtes in der betrieblichen Altersversorgung zu Grunde zu legen ist, erfüllt (vgl. § 70 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FamFG).

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist nach §§ 70ff. FamFG die Rechtsbeschwerde statthaft. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht - Bundesgerichtshof, Herrenstrasse 45a, 76133 Karlsruhe - einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

* die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird,

* die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.

Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden. Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 S. 5 und 6 der ZPO gilt entsprechend (vgl. § 71 Abs. 2 FamFG).

Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt (§ 114 Abs. 2 FamFG) oder unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 3 FamFG durch eine zur Vertretung berechtigte Person, die die Befähigung zum Richteramt hat, vertreten lassen.

Michalik Prof. Dr. Heilmann Wegener