OLG Frankfurt vom 08.07.2019 (1 UF 1/19)

Stichworte: Abstammungsverfahren; Vater, rechtlicher; Vater, biologischer; Beziehung, sozial-familiäre; Verhandlung, mündliche
Normenkette: GG 6 Abs. 2; BGB 1600 Abs. 2; BGB 1600 Abs. 1 Nr. 2; FamFG 182 Abs. 1
Orientierungssatz:
  • Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung, ob zwischen rechtlichem Vater und Kind eine sozial-familiäre Beziehung im Sinne von § 1600 Abs. 2 BGB besteht, ist grundsätzlich der Schluss der mündlichen Verhandlung.
  • Das grundrechtlich geschützte Interesse des leiblichen Vaters, die Rechtsposition als rechtlicher Vater einnehmen zu können, ist im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 1600 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 BGB zu beachten, so dass für die Beurteilung der Entstehung einer sozial-familiären Beziehung auf den Zeitpunkt der Einleitung des Abstammungsverfahrens abzustellen sein kann, wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Beschwerdeinstanz zwar eine sozial-familiäre Beziehung besteht, der leibliche Vater aber alles getan hat, um die rechtliche Vaterschaft zu erlangen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.09.2018, Az. 1 BvR 2814/17).
  • 477 F 23203/18 AB
    AG Frankfurt am Main

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die Abstammungsangelegenheit von

    hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 1. Senat für Familiensachen, durch

    die Richter …

    am 8. Juli 2019 beschlossen:

    I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. vom 14.12.2018 wird zurückgewiesen.

    II. Die Beschwerde des Beteiligten zu 3. vom 02.01.2019 wird zurückgewiesen.

    III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden zwischen der Beteiligten zu 2. und dem Beteiligten zu 3. hälftig geteilt.

    IV. Der Beschwerdewert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

    V. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

    VI. Der Beteiligten zu 2. wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A, Stadt1 gewährt.

    VII. Dem Beteiligten zu 3. wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B, Stadt1 gewährt.

    Gründe:

    I.

    Das Verfahren betrifft die Abstammung des am XX.XX.2017 geborenen Kindes C.

    Die Mutter und der Antragsteller führten in der Vergangenheit eine Beziehung, innerhalb derer sie in der Zeit vom XX.01.2017 bis XX.05.2017 geschlechtlich verkehrten. Im gleichen Zeitraum wohnte die Mutter auch dem Beteiligten zu 3. bei. Sie nahm im März 2017 gemeinsam mit dem Antragsteller einen Arzttermin wahr, bei dem ihre Schwangerschaft festgestellt wurde. Nachfolgend teilte sie ihm unzutreffend mit, das Kind abgetrieben zu haben und brach den Kontakt zum Antragsteller ab. Als er auf dem Profilbild der Mutter in einem sozialen Netzwerk sah, dass sie schwanger ist, teilte sie ihm auf seine Nachfrage mit, dass sie ein Kind vom Beteiligten zu 3. erwarte. Dieser erkannte am XX.05.2017 vorgeburtlich vor dem Standesamt1 in Stadt1, Az. …, mit Zustimmung der Mutter die Vaterschaft für das Kind an. Nach der Geburt des Kindes am XX.XX.2017 verbrachte er für drei Monate jeweils einen Monat im Haushalt der Mutter, dann hielt er sich ein bis zwei Tage in seiner Unterkunft in Stadt2 auf. Nachfolgend bis Ende April 2018 lebte er jeweils etwa zwei Wochen im Haushalt der Mutter und kehrte dann für ein bis zwei Tage nach Stadt2 zurück, wo er als Asylbewerber gemeldet war. Während dieser Zeit war er in die Betreuung und Versorgung des Kindes eingebunden. Am 01.05.2018 nahm die Mutter Kontakt zu dem Antragsteller auf, unterrichtete ihn, dass sie das Kind ausgetragen habe und äußerte die Vermutung, dass C vom Antragsteller abstammen könnte. Am gleichen Tag gewährte ihm die Mutter Kontakt zum Kind. In der Folgezeit hielt er sich bis Ende Juli/Anfang August häufiger als der Beteiligte zu 3. in der Wohnung der Mutter auf. Letzterer besuchte die Mutter jedenfalls seit Juni 2018 lediglich 14tägig am Wochenende. Der Antragsteller übernahm auch Versorgungsaufgaben für das Kind. Auf Anregung der Mutter wurde ein Gutachten der X GmbH bezüglich der Vaterschaft des Kindes eingeholt. Das am 30.05.2018 erstattete Gutachten stellt fest, dass der Antragsteller mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99% Vater von C ist. Am 12.06.2018 teilte die Mutter dem Beteiligten zu 3. erstmals mit, dass er nicht Vater des Kindes sei. Gleichwohl gaben beide am 02.07.2018 gegenüber dem Jugendamt der Stadt1 eine gemeinsame Sorgeerklärung bezüglich des Kindes ab. Als der Antragsteller mitteilte, damit nicht einverstanden zu sein, beendete die Mutter die Beziehung zu ihm und verwehrt ihm seither den Kontakt zu C.

    Der Antragsteller leitete am 27.08.2018 das vorliegende Verfahren ein, mit dem er begehrt, festzustellen, dass nicht der Beteiligte zu 3. sondern er Vater der am XX.XX.2017 geborenen C ist.

    Das Kind besucht seit dem 10.09.2018 eine Kindertagesstätte. Die Eingewöhnung wurde überwiegend von dem Beteiligten zu 3. sowie zeitweise von der Mutter begleitet. Seit dem 04.12.2018 ist der Beteiligte zu 3. in Stadt1 gemeldet.

    Der Antragsteller behauptet, dass zwischen dem Kind und dem Beteiligten zu 3. keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Dieser habe in der Vergangenheit lediglich zur Sicherung seines Aufenthalts Kontakt zur Mutter und dem Kind unterhalten. Hingegen sei zwischen ihm und C seit Mai 2018 eine vertrauensvolle Beziehung entstanden. In dieser Zeit habe er mit der Mutter eine Beziehung geführt und sich nahezu täglich in deren Wohnung aufgehalten.

    Die Mutter behauptet, sie habe seit Mai 2018 bis heute mit dem Beteiligten zu 3. in häuslicher Gemeinschaft gelebt. Als sie dem Antragsteller Kontakt zu dem Kind gewährt habe, habe sie das Ziel verfolgt ihn von einem Abstammungsverfahren abzuhalten. Sie sei zum Schein auf Forderungen des Antragstellers eingegangen, um ihn von einem gerichtlichen Verfahren abzuhalten. In der Vergangenheit hätten Streitigkeiten zwischen ihr und dem Antragsteller zu einer nachhaltigen Belastung für sie und das Kind geführt.

    Der Beteiligte zu 3. behauptet, ab Mai 2018 habe er den Haushalt der Mutter wöchentlich besucht, seit Juni im 14-tägigen Rhythmus.

    Die Verfahrensbeiständin empfahl mit Bericht vom 23.10.2018 im erstinstanzlichen Verfahren, den Antrag des Beteiligten zu 1. zurückzuweisen, da zwischen C und dem Beteiligten zu 3. eine stabile sozial-familiäre Beziehung bestünde.

    Durch Beschluss vom 23.11.2018 stellte das Amtsgericht fest, dass nicht der Beteiligte zu 3. sondern der Antragsteller Vater von C ist. In den Gründe:n verwies es darauf, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen zur Anfechtung der Vaterschaft vorlägen. Insbesondere bestünde zwischen C und dem Beteiligten zu 3. keine sozial-familiäre Beziehung. Dieser habe mit der Mutter zu keiner Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt. Aufgrund der wechselhaften Wohnverhältnisse sei eine nachhaltige Sozialbeziehung zwischen dem Kind und ihm nicht entstanden.

    Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Mutter, mit der sie die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung erstrebt. Das Familiengericht habe versäumt, ein Gutachten über die Bindungsqualität des Kindes bzw. die sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum Beteiligten zu 3. einzuholen. Ferner erhebt der Beteiligte zu 3. Beschwerde gegen die vorbezeichnete Entscheidung. Er verweist darauf, dass entgegen der Annahme des Familiengerichts zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung entstanden sei. Er habe während der gesamten Schwangerschaft und auch nach der Geburt des Kindes mit der Mutter in häuslicher Gemeinschaft gelebt.

    Der Antragsteller verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

    Die Verfahrensbeiständin führte mit Bericht vom 23.01.2019 aus, dass in Abkehr von ihrer vorherigen Einschätzung sie nicht festzustellen vermöge, dass der Beteiligte zu 3. bereits vor Einleitung des Verfahrens in den Familienalltag eingebunden war und eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind begründet hat.

    II.

    Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthaften und auch im Übrigen zulässigen Beschwerden der Mutter und des Beteiligten zu 3. gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht - Frankfurt am Main vom 23.11.2018 haben in der Sache keinen Erfolg.

    Die Entscheidung des Familiengerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Antragsteller ist nach § 1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB zur Anfechtung der Vaterschaft berechtigt. Dies setzt voraus, dass er an Eides statt versichert, der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben, leiblicher Vater des Kindes ist und zwischen dem Kind und dem Vater i. S. d. §§ 1600 Abs. 1 Nr. 1, 1592 Nr. 2 BGB keine sozial-familiäre Beziehung besteht.

    Diese Voraussetzungen sind gegeben.

    1. Der Antragsteller versicherte in der Antragsschrift vom 23.08.2018 an Eides statt, mit der Mutter in der vom XX.01.2017 bis XX.05.2017 andauernden Empfängniszeit geschlechtlich verkehrt zu haben. Der Antragsteller ist zudem leiblicher Vater des Kindes. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, dass er biologischer Vater von C ist. Denn dies wird durch das im wechselseitigen Einvernehmen der Mutter und des Antragstellers eingeholte Abstammungsgutachten der X GmbH, die durch die deutsche Akkreditierungsstelle zertifiziert ist, vom 30.05.2018 festgestellt. Es gelangt zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99% Vater von C ist. Vor dem Hintergrund vorstehender Ausführungen und mit Blick darauf, dass die Mutter auch keine Einwände gegen den Ablauf der Testung erhob, bedurfte es in dieser Hinsicht keiner weitergehenden Beweiserhebung durch das Beschwerdegericht.

    2. Der Antragsteller hat zur Überzeugung des Senats dargelegt und nachgewiesen, dass zwischen dem Beteiligten zu 3. und C zum Zeitpunkt der Einleitung des Abstammungsverfahrens am 27.08.2018 keine sozial-familiäre Beziehung bestand. Dieses negative Tatbestandsmerkmal ist vom Anfechtenden darzulegen und zu beweisen; ein non liquet geht zu seinen Lasten (BGH, NJW 2007, 1677, 1680; MüKo/Wellenhofer, BGB, 7. Aufl., § 1600 Rn. 22). Allerdings kann den rechtlichen Vater eine sekundäre Darlegungslast treffen (Staudinger/Rauscher, BGB, 2011, § 1600 Rn. 44a).

    a) Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung, ob zwischen rechtlichem Vater und Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht, ist grundsätzlich der Schluss der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 24.02.2015, Az. 1 BvR 562/13). Sofern gegen die Entscheidung des Familiengerichts ein Rechtsmittel erhoben wird, kommt es in der Regel auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Beschwerdeinstanz als der letzten Tatsacheninstanz an (strenger: BGH, Beschluss v. 15.11.2017, Az. XII ZB 389/16; BGH, Beschluss v. 18.10.2017, Az. XII ZB 525/16; BGH, NJW 2007, 1677, 1679).

    aa) Bei Auslegung des § 1600 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 BGB ist der verfassungsrechtliche Rahmen, den das BVerfG in seiner Entscheidung vom 09.04.2013 (BVerfGE Beschluss v. 09.04.2003, Az. 1 BvR 1493/96) aufzeigte, zu beachten. Danach steht auch der leibliche, aber nicht rechtliche Vater eines Kindes unter dem Schutz von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Leiblicher Vater eines Kindes zu sein, macht diesen zwar allein noch nicht zum Träger des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Die Grundrechtsnorm schützt den leiblichen Vater aber in seinem Interesse, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen. Dieser Schutz vermittelt ihm zwar kein Recht, in jedem Fall vorrangig vor dem rechtlichen Vater die Vaterstellung eingeräumt zu erhalten, denn die Abstammung wie die sozial-familiäre Verantwortungsgemeinschaft machen gleichermaßen den Gehalt von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG aus. Beides in Deckung zu bringen, ist vom Gesetzgeber anzustreben. Soweit die beiden Merkmale jedoch in der Wirklichkeit auseinanderfallen, gibt die Grundrechtsnorm keine starre Gewichtung dafür vor, welchem der beiden Merkmale der Vorrang einzuräumen ist und bestimmt insoweit kein Rangverhältnis zwischen der biologischen und der sozialen Elternschaft. Vielmehr sind bei der Entscheidung, wem das Kind in einem solchen Falle zuzuordnen ist, beide Interessen zu berücksichtigen und miteinander abzuwägen (vgl. BVerfGE Beschluss v. 09.04.2003, Az. 1 BvR 1493/96).

    Der Gesetzgeber hat § 1600 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 BGB in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise gefasst. Nach der Rechtsprechung des BVerfG begegnet es keinen Bedenken, den biologischen Vater zum Schutz der rechtlich-sozialen Familie von der Vaterschaftsanfechtung auszuschließen (BVerfG, Beschluss v. 04.12.2013, Az. 1 BvR 1154/10; BVerfG, Beschluss v. 24.02.2015, Az. 1 BvR 562/13). Eine Abwägung der Interessen des leiblichen mit denen des rechtlichen Vaters lässt die Norm nicht zu, sondern regelt den Ausgleich dieser Rechtspositionen zwingend zugunsten der sozialen Elternschaft (BGHZ 170, 161; BGH, NZFam 2017, 1127, 1128; kritisch dazu Staudinger/Rauscher, BGB, 2011, 1600 Rn. 40). Das vorstehend dargelegte grundrechtlich geschützte Interesse des leiblichen Vaters die Rechtsposition als rechtlicher Vater einnehmen zu können ist mithin im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift zu beachten. Bei Zweifeln an der Vaterschaft verlangt die Verfassung die Eröffnung eines hinreichend effektiven Verfahrens, in dem die Vaterschaft überprüft und das Elternrecht gegebenenfalls rechtlich neu zugeordnet wird. Insofern gewährleistet Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG auch dem biologischen Vater grundsätzlich einen verfahrensrechtlichen Zugang zum Elternrecht (BVerfG Beschluss v. 09.04.2003, Az. 1 BvR 1493/96 Rn.65-67). Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es den endgültigen Ausschluss des leiblichen Vaters vom Zugang zur rechtlichen Elternstellung nicht ohne Weiteres, wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Beschwerdeinstanz zwar eine sozial-familiäre Beziehung besteht, der leibliche Vater aber - als ihm die rechtliche Vaterschaft offen stand - alles getan hat, um diese zu erlangen (BVerfG, Beschluss v. 25.09.2018, Az. 1 BvR 2814/17). In dieser Konstellation ist das Interesse am Gleichlauf der rechtlichen Vaterschaft mit der sozial-familiären Beziehung regelmäßig nicht stark genug, um die erhebliche Härte zu rechtfertigen, die das endgültige Scheitern der rechtlichen Vaterschaft für den leiblichen Vater bedeutet (BVerfG, Beschluss v. 25.09.2018, Az. 1 BvR 2814/17; vgl. dazu auch Staudinger/Rauscher, BGB, 2011, § 1600 Rn. 41a; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 21.01.2010, Az. 2 UF 69/08). Der Wortlaut des § 1600 Abs. 2 BGB steht einer Interpretation, wonach in vorbezeichneten Fallgestaltungen nicht der Abschluss der Beschwerdeinstanz sondern die Einleitung des Verfahrens als maßgebend zu erachten ist, nicht entgegen. Zugleich stellt diese Auslegung sicher, dass in Sonderkonstellationen der grundrechtlich geschützte Anspruch des leiblichen Vaters auf ein hinreichend effektives Verfahren zur Erlangung der rechtlichen Vaterstellung zur Geltung gebracht wird (vgl. dazu BVerfG, Beschluss v. 25.09.2018, Az. 1 BvR 2814/17; OLG Hamburg NZFam 2019, 319).

    bb) Nach vorstehenden Maßstäben ist in dem vorliegend zu beurteilenden Einzelfall auf die Einleitung des Verfahrens als maßgebenden Zeitpunkt abzustellen. Denn der leibliche Vater hat hier alle erforderlichen Schritte zu Erlangung der rechtlichen Vaterschaft unternommen. Zwar kann gegen die Annahme einer besonderen Konstellation angeführt werden, dass der rechtliche Vater bereits zu der Zeit, als das Verfahren eingeleitet wurde, die Vaterschaft anerkannt hatte, sie insoweit nicht „offen“ stand. Der weitere Beteiligte zu 3. erkannte die Vaterschaft vorgeburtlich, am XX.05.2017 an, das Kind wurde am XX.XX.2017 geboren und das vorliegende Verfahren am 27.08.2018 eingeleitet. Dennoch hat der Antragsteller ab Kenntnis seiner leiblichen Vaterschaft alle Maßnahmen ergriffen, um tatsächlich und rechtlich auch die Position eines Vaters einzunehmen, nachdem die Mutter ihn hinsichtlich der Geburt des gemeinsamen Kindes zunächst bewusst getäuscht hatte. Dem Antragsteller war ihre Schwangerschaft zwar zunächst bekannt, er begleitete sie wiederholt zu Kontrollterminen beim Frauenarzt. Nachfolgend behauptete sie jedoch, die Schwangerschaft abgebrochen zu haben und verweigerte jeglichen Kontakt zum Antragsteller. Auch als er in einem sozialen Netzwerk ein Profilfoto von ihr sah, auf dem ihre Schwangerschaft erkennbar war, behauptete sie, sie sei unmittelbar nach der Abtreibung vom rechtlichen Vater geschwängert worden. Erst am 01.05.2018 unterrichtete die Mutter den leiblichen Vater, dass die Schwangerschaft nicht abgebrochen wurde und die am XX.XX.2017 geborene C von ihm abstammen könnte. Zugleich regte sie die Einholung eines Abstammungsgutachtens an. Dass der Antragsteller das hiesige Verfahren erst über drei Monate nach Kenntnis eingeleitet hat, verlangt nach keiner abweichenden Betrachtung, denn die Mutter führte in einer WhatsApp Nachricht vom 06.05.2018 an den Antragsteller aus, dass sobald die Vaterschaft geklärt sei, dies auch der weitere Beteiligte zu 3. glauben würde und sie dann schnell die Papiere neu machen könnten. Nachdem durch das Gutachten der X GmbH vom 30.05.2018 die Vaterschaft des Antragstellers bestätigt worden ist, kümmerte sich der Antragsteller unmittelbar um das Kind. Die Mutter nahm mit ihm eine Beziehung auf, in deren Zuge er sich über längere Zeiträume und umfangreicher als der Beteiligte zu 3. in dem Haushalt der Mutter sowie des Kindes aufhielt und auch Verantwortung für das Kind übernahm. Dies ist den umfassenden Chatprotokollen, deren Authentizität nicht von der Mutter in Abrede gestellt wurde, zu entnehmen. Insoweit wird auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Beschluss Bezug genommen. Zu dieser Zeit übernahm er nach dem Vortrag der Mutter in ihrer persönlichen Erklärung, die mit dem Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten vom 02.11.2018 eingereicht wurde, auch die Versorgung des Kindes. Der Antragsteller machte dabei gegenüber der Mutter deutlich, als rechtlicher Vater des Kindes festgestellt werden zu wollen, wozu die Mutter sich ausdrücklich bereit erklärte. Erst als der Antragsteller auf die Feststellung seiner Vaterschaft bestand, nachdem der Beteiligte zu 3. gemeinsam mit der Mutter eine Sorgeerklärung bezüglich des Kindes abgab, brach sie im Juli 2018 den Kontakt zum Antragsteller ab und gewährte ihm keine Umgang zum Kind. In der Folge leitete er im August 2018 und damit zeitnah das vorliegende Verfahren ein.

    cc) Der Antragsteller hat dargelegt und nachgewiesen, dass bei Einleitung des vorliegenden Verfahrens keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Beteiligten zu 3. und dem Kind bestand.

    Das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung i. S. d. § 1600 Abs. 3 S. 1 BGB erfordert, dass der rechtliche Vater für das Kind tatsächlich Verantwortung trägt. Die Voraussetzungen wird dahingehend konkretisiert, dass zumindest prognostisch anzunehmen sein muss, dass Verantwortung dauerhaft getragen wird. Das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung setzt keine bestimmte Mindestdauer voraus. Ein längeres Zusammenleben mit dem Kind ist zwar ein Indiz, nicht aber eine notwendige Voraussetzung für das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung. Diese kann bereits bei kürzerem Zusammenleben bejaht werden, wenn dieses noch andauert und der Tatrichter überzeugt ist, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat und in einer Weise trägt, die auf Dauer angelegt erscheint. Eine sozial-familiäre Beziehung kann demzufolge insbesondere auch bei zusammenlebenden nicht verheirateten rechtlichen Eltern sogleich nach der Geburt des Kindes gegeben sein (BGH, Beschluss v. 15.11.2017, Az. XII ZB 389/16). Nach § 1600 Abs. 3 S. 2 BGB liegt eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung in der Regel vor, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.

    Vorliegend sind zum maßgebenden Zeitpunkt weder die tatbestandlichen Voraussetzungen des gesetzlichen Regelfalls gegeben, noch erschien die Verantwortungsübernahme durch den rechtlichen Vater zu dieser Zeit auf Dauer angelegt.

    Die Mutter ist mit dem Beteiligten zu 3. weder verheiratet noch lebte sie bei Einleitung des Verfahrens mit ihm in häuslicher Gemeinschaft.

    Auch zuvor, zu der Zeit als das Kind geboren wurde, führte er mit der Mutter keinen gemeinsamen Haushalt. Zwar hielt er sich dort jeweils für etwa zwei Wochen auf, kehrte sodann jedoch für ein bis zwei Tage nach Stadt2, wo er als Asylbewerber gemeldet war, zurück. Es ist auch nicht erkennbar, dass er unmittelbar nach der Geburt beabsichtigte, einen gemeinsamen Hausstand mit der Mutter und dem Kind zu begründen. Erstmals mit Schreiben vom 05.03.2018 wandte er sich an das Ordnungsamt der Stadt2 mit der Bitte, aufgrund der Geburt des Kindes sowie der Beziehung zur Mutter in Stadt1 seinen Aufenthalt nehmen zu können. Bis zur Einleitung des vorliegenden Verfahrens wurde auch kein gemeinsamer Hausstand begründet. Vielmehr nahm die Mutter im Mai 2018 eine Beziehung mit dem Antragsteller auf. Der Antragsteller hielt sich nachfolgend wesentlich häufiger als der Beteiligte zu 3. im Haushalt der Mutter auf. Der Beteiligte zu 3. erschien zuletzt lediglich im 14-tägigen Rhythmus am Wochenende dort, während der Antragsteller umfangreiche Zeiten in der Woche sowie am Wochenende bei ihr verbrachte. Seine Eltern reisten von Marokko in den Haushalt der Mutter und des Kindes, um diese und ihn zu besuchen. Der Beteiligte zu 3. legte im Rahmen der ihm zukommenden sekundären Darlegungslast nicht nach, dass er trotz dieser Umstände in jenem Zeitraum tatsächlich Verantwortung für C übernahm. Er begründete seine überwiegende Abwesenheit damit, dass er sich um seine ausländerrechtlichen Angelegenheiten in Stadt2 habe kümmern müssen. Insoweit blieb unklar, weshalb ihn dies nunmehr so umfassend beschäftigte, nachdem er bereits am 05.03.2018 einen Antrag auf Umverteilung gestellt hatte. Darüber hinaus ist eine Einschränkung des Kontakts zu Kind und Mutter vor dem Hintergrund der für den Antrag gewählten Begründung nicht nachvollziehbar. Die Verfahrensbeiständin, welche noch mit Bericht vom 23.10.2018 annahm, dass zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Mutter eine häusliche Gemeinschaft bestehe, führte mit Bericht vom 23.01.2019 aus, dass in Abkehr von ihrer vorherigen Einschätzung sie nicht festzustellen vermöge, dass der Beteiligte zu 3. bereits zuvor in den Familienalltag eingebunden war und eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind begründet hat. Sie verwies nachvollziehbar darauf, dass im Zeitraum Mai bis Juli 2018 weder der Antragsteller noch der Beteiligte zu 3. in häuslicher Gemeinschaft mit der Mutter gelebt hätte. Die Einvernahme der Zeugen, welche von der Mutter mit Schriftsatz vom 26.09.2018 für das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft zwischen ihr und dem Beteiligten zu 3. benannt wurden, war nicht erforderlich. Denn nach vorstehenden Erwägungen ist unerheblich, ob die Mutter nach Einleitung des Verfahrens einen gemeinsamen Hausstand mit dem Beteiligten zu 3. begründete.

    Darüber hinaus hat der rechtliche Vater bei Einleitung des Verfahrens für C auch keine tatsächliche Verantwortung in einer Weise getragen, die auf Dauer angelegt erschien. Insbesondere genügt nicht, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Elternverantwortung zu einem früheren Zeitpunkt übernommen hatte, wenn diese zu einem späteren Zeitpunkt beendet worden ist (vgl. BGHZ 170, 161; BGH NJW 2018, 947). Auf eine Übernahme der Verantwortung deuten zwar zunächst seine vorgeburtliche Unterstützung der Mutter sowie seine Einbindung in die Betreuung und Pflege des Kindes nach dessen Geburt hin. Er nahm gemeinsam mit der Mutter Kontrolluntersuchungen beim Frauenarzt wahr, war bei der Geburt anwesend und begleitete nachfolgend Termine bei der Nachsorge. Der weitere Beteiligte zu 3. übernahm Versorgungsleistungen für C, indem er insbesondere mit ihr spazieren ging, sie fütterte und wickelte. Allerdings ist aufgrund der weiteren Umstände des Einzelfalls nicht anzunehmen, dass auch prognostisch anzunehmen war, dass er die Verantwortung auf Dauer übernehmen wollte. Denn bereits ab Mai 2018 zog er sich aus der tatsächlichen Betreuung des Kindes zurück, indem er sich nur noch eingeschränkt im Haushalt der Mutter aufhielt. Wie vorstehend dargelegt vermögen auch die von ihm für seine eingeschränkte Präsenz angeführten Umstände, eine abweichende Würdigung nicht zu rechtfertigen. Zugleich übernahm in dieser Zeit der Antragsteller im höheren Umfang als der Beteiligte zu 3. Versorgungs- und Betreuungsleistungen für das Kind. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich auch die Mutter hinsichtlich des Bestands der Beziehung zum weiteren Beteiligten zu 3. sowie seiner Einbindung in die Betreuung des Kindes nicht sicher war. Sie führt wiederholt aus, Angst gehabt zu haben, dass dieser sich von ihr abwendet, wenn er erfährt, nicht biologischer Vater des Kindes zu sein. Ihre diesbezüglichen Zweifel gingen jedoch auch darüber hinaus. Denn auch nachdem der weitere Beteiligte zu 3. am 12.06.2018 von diesem Umstand erfuhr und dennoch an der Beziehung festhielt, setzte die Mutter die Beziehung zum Antragsteller zunächst fort. Schließlich kann auch aus der von der Mutter und dem weitere Beteiligte zu 3. gegenüber dem Jugendamt der Stadt1 am 02.07.2018 abgegebenen gemeinsamen Sorgeerklärung nicht das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung abgeleitet werden. Denn diese Erklärung eröffnet zwar die Möglichkeit, Verantwortung für das Kind zu tragen, trifft jedoch keine Aussage darüber, ob diese nachfolgend auch tatsächlich übernommen wurde. Zudem ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die Erklärung zu einer Zeit abgegeben wurde, in der die weitere Einbindung des Antragstellers in die Pflege und Betreuung des Kindes durch die Mutter verwehrt wurde.

    Da der angegriffene Beschluss zutreffend die Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft des Beteiligten zu 3. Enthält, war in diesem nach § 182 Abs.1 S. 1, S. 2 FamFG zugleich auszusprechen, dass der Antragsteller Vater von C, geb. am XX.XX.2017, ist.

    III.

    Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 84 FamFG. Danach waren den Beschwerdeführern die Kosten des Rechtsmittels jeweils hälftig aufzuerlegen, da diese ohne Erfolg blieben. Gründe:für eine abweichende Regelung bestehen nicht.

    Die Entscheidung zum Verfahrenswert findet ihre Grundlage in §§ 40 Abs. 1 S. 1, 47 Abs. 1 FamGKG. Der gesetzliche Regelwert erscheint vorliegend auch angemessen.

    IV.

    Die Rechtsbeschwerde war nach § 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 FamFG zuzulassen, da die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zur Frage des maßgebenden Zeitpunkts für die Beurteilung des Bestehens einer sozial-familiären Beziehung i. S. v. § 1600 Abs. 2 BGB eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

    V.

    Die Entscheidungen zur Verfahrenskostenhilfe beruhen auf § 76 Abs.1 FamFG i. V. m. § 114 S.1 ZPO. Die Rechtsverfolgung durch die Beschwerdeführer bot mit Blick auf den anzulegenden Maßstab hinreichend Aussicht auf Erfolg.

    ...